Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
bezaubernde Pavillons, von denen man weite Aussicht hatte. Der Weg wurde steiler und schwieriger, und der Mönch schnallte Spikes unter meine Schuhe, damit ich durch Eis und Schnee steigen konnte. Die erste Nacht blieben wir in einem Kloster. Ich ging in den Tempel, entdeckte Kuan Yin und saß Stunden bei ihr, und mein Geist fand Frieden. Am nächsten Morgen gingen wir schmale Pfade an steilen Abgründen entlang. Zu stürzen hätte den Tod bedeutet, aber ich hatte keine Angst. Schließlich erreichten wir einen großen, wunderbaren Tempel, und dort schliefen wir, bevor wir den letzten kurzen Aufstieg zu Buddhas Spiegel wagten, denn der Mönch sagte, es sei das beste, in der Morgendämmerung zu gehen.
Wir gingen vor Sonnenaufgang, und wir saßen auf dem großen Steilhang, als die Sonne am östlichen Horizont erschien. Die Welt wurde rot, dann golden, und schließlich standen wir auf und sahen hinab, und ich sah… sah meine Schwester, und ich wußte, daß ich nie Frieden finden würde, während ihre Seele litt. Es war die Vision, die Kuan Yin mir gegeben hatte. Meine Mutter gebot mir, meinen Haß zu überwinden und meine Schwester zu retten.
Der Mönch brachte mich in ein Kloster an der Westseite des Berges, weit weg von allem. Er brachte mich zu einer alten Nonne, die sagte, ich solle ihr meine Geschichte erzählen. Ich erzählte ihr alles. Als ich fertig war, sagte sie, ich könne bleiben. Sie gab mir einen kleinen Raum und einfache Kleidung. Ich hatte Arbeit in der Küche, holte Wasser, schlug Holz… später kochte ich… wusch Töpfe und Schalen. Jeden Morgen und jeden Abend saß ich bei Kuan Yin. In dem Kloster lernte ich die Künste der Buddhisten – Tai Chi, Kung Fu. Ich begann wieder zu malen. Ich war sehr glücklich.
Ich blieb dort beinahe vier Jahre.
Dann wurde Vater aus dem Gefängnis entlassen.
Eines Tages kam ich in die Küche, und ein Mönch, den ich nicht kannte, war dort. Er kam vom Fuße des Berges. Er sagte, Soldaten wären gekommen, die von Kloster zu Kloster gingen, und nach Xao Lan suchten, sie durchsuchten die Zellen, zerbrachen Dinge. War ich vielleicht diese Xao Lan? Ich gab zu, daß ich es war. Ich fragte, wer den Auftrag gegeben hätte. Ob er das wüßte? Ja, es war Xao Xiyang, der neue Kommissar in Dwaizhou, ein wichtiger Regierungsmitarbeiter. Er wollte seine Tochter zurück.
Ja, Deng war rehabilitiert worden und langsam, langsam fand er seine Freunde und Unterstützer, darunter Vater. Er wollte sie alle in Szechuan versammeln, um eine Basis für die Fortsetzung der Reformen zu haben, die durch die Kulturrevolution zunichte gemacht worden waren. Vater war wieder frei! Aber er zerwühlte die Augenbrauen des Seidenspinners, um mich zu finden.
Die alte Nonne überließ es mir. Sie sagte, sie würden ihr Bestes tun, mich zu verstecken, wenn ich das wünschte. Ich war so unsicher! Ich liebte mein Leben auf dem Berg, und ich liebte meinen Vater. Ich wollte von der Welt fern sein, aber ich wollte auch Vaters Reformen helfen. Ich betete zu Kuan Yin, aber ich kannte die Antwort. Vater würde nie aufhören, und ich konnte die Leute, die mich gerettet und mir ein Heim gegeben hatten, nicht verletzen. So ging ich mit dem Mönch den Berg hinunter und stellte mich den Soldaten. Aber es brach mir das Herz, den Berg zu verlassen, den ich so sehr liebte.
Ich war außer mir vor Freude, Vater wiederzusehen, aber zwischen uns stand eine große Trauer. Mutters Tod, der Verrat meiner Schwester. Ich fragte Vater, ob er sie gefunden hatte. Als er nicht antwortete, bekam ich Angst. Ich fragte wieder. Schließlich sagte er, ja, er habe sie gefunden – sie sei tot. Sie sei bei dem Kampf um die Fabrik in Chengdu gefallen. Jetzt war ich die einzige Tochter, sagte er, und müßte für beide leben.
Dann überraschte Vater mich. Er sagte, ich müsse China verlassen. Er habe seine ganze Familie an China verloren, außer mir, und er könne den Gedanken nicht aushalten, mich auch zu verlieren. Er sagte, ich müsse gehen, bis es sicher sei, in diesem Land eine Familie zu haben. Ich argumentierte, ich weinte, ich bettelte, aber Vater blieb hart. Ich fragte, ob ich zurück auf den Berg gehen könnte, aber Vater sagte, kein Platz in China sei sicher. Ich müsse weggehen.
Wir blieben nur ein paar Tage beisammen. Dann verabschiedeten wir uns, und ich wurde heimlich nach Guangzhou gebracht und dann nach Hongkong hineingeschmuggelt, so wie du hinausgeschmuggelt wurdest. Ich wurde im Obdachlosenheim in
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