Das Licht in Buddhas Spiegel - Neal Carey 2
ihn zu respektieren, und dann liebten sie ihn, denn er kämpfte für sie und besorgte ihnen Dünger und Medizin. Nachts hielt er Unterricht ab und erklärte den Leuten die großen Ziele der Revolution. Mutter kam nach einem Jahr zu uns, und wir waren so glücklich! Wir trugen jetzt Arbeiter-Kleidung und keine hübschen Kleider mehr, aber wir waren glücklich, unsere Mutter zurückzuhaben. Und wir konnten sehen, daß Vater und Mutter glücklich waren, zusammenzusein.
Wir begannen, Dwaizhou zu lieben. Ich half auf den Feldern und in den Küchen und spazierte mit einem Stückchen Kohle und Reispapier umher und machte kleine Kinderzeichnungen. Hong spielte, daß sie eine tapfere Soldatin sei, und sie trug den Arbeitern die Geschichten der Helden der Revolution vor. Sie war so stolz auf ihren Spitznamen – denn Rot war die Farbe der Partei, und sie war »Rot«.
Aber dann wurde das Essen knapp. Der große Schritt vorwärts hatte versagt, und selbst in Szechuan gab es Hunger.
Vater versuchte, die dummen Befehle zu stoppen. Er kämpfte gegen die Kader, als sie befahlen, die Arbeiter sollten ihr Vieh schlachten, denn das Vieh sei Besitz, und Besitzer seien Rechte. Aber die Kader hörten nicht auf ihn, und die Arbeiter mußten ihre Schweine, Hühner und Enten töten und das Fleisch den Arbeitern in der Stadt schicken. Aber dann waren natürlich keine Tiere mehr da, um zu züchten. Ich erinnere mich, daß Vater bei den Arbeitern stand, als sie ihr Vieh schlachteten, erinnere mich, daß er im Blut stand, mit den Bauern weinte. Ich erinnere mich an die Reisen durch die Provinz, wo ich Bauern auf einstmals fruchtbaren Reisfeldern stehen und um Essen betteln sah. Ich erinnere mich an Familien, die gute Freunde waren, und jetzt um ein paar Fische oder Gemüse stritten. Ich erinnere mich an Hunger.
Meine Familie hungerte nicht, denn Vater war immer noch ein Offizieller und hatte Yuan, um Essen zu kaufen. Aber oft gab es kein Essen, das man kaufen konnte, und viele Mahlzeiten bestanden aus Kohl und ein paar Erdnüssen. Meine Schwester und ich vermißten die Schalen mit weißem Reis, die gedämpften Brötchen und die Mooncakes. Aber wir klagten nicht, so vielen Leuten um uns herum ging es schlechter, und es war der Preis, den wir alle für die Revolution bezahlen mußten. Aber ich vergaß es nie. Hong und ich lauschten, als Vater Mutter von seiner letzten Inspektionsreise erzählte. Er flüsterte Mutter zu, was er gesehen hatte: Leichen am Wegesrand, Männer, die getötet worden waren, weil sie Korn gestohlen hatten, Kinder mit offenen Wunden von der Mangelernährung. Er saß da, rauchte eine Zigarette nach der anderen und sagte, daß man es stoppen mußte und nie wieder geschehen lassen dürfte. Und Mutter fragte: »Was ist bloß los mit dem großen Vorsitzenden? Ist er verrückt geworden?«
Vater schüttelte bloß den Kopf.
Plötzlich schien Vater sehr wichtig zu werden. Später erfuhren wir, daß er sich einer Gruppe Reformer angeschlossen hatte, die von Deng Xiaoping angeführt wurde. Das war 1960, glaube ich, erst begannen die Nachforschungen, dann die Reform, und Vater war der Führer der Reformer in Szechuan, und die Kader haßten ihn. Aber der Hunger endete, und Deng Xiaoping unterstützte meinen Vater, und nach zwei Jahren zogen wir zurück nach Chengdu, weil Vater Parteisekretär geworden war, eine sehr wichtige Arbeit.
Wir wußten natürlich nicht, daß der große Vorsitzende Mao bloß abwartete. Wieder einmal waren wir sehr glücklich. Wir hatten unsere Familie, und wir hatten unsere Träume. Ich würde eine große Malerin werden und Hong eine große Schauspielerin. Wir übten uns in unseren Künsten und arbeiteten hart in der Schule, und die Abende daheim waren wunderbar. Mutter wollte meine Bilder sehen, und Hong mußte ihr vorspielen. Vater kam spät nach Hause, und dann mußten wir es noch mal tun, und auch das war wundervoll.
Und Mutter war »rehabilitiert« worden. Sie begann, für die Zeitung zu schreiben. Wir gingen gemeinsam im Park spazieren, oder machten Ausflüge aufs Land. Oft besuchten wir Dwaizhou, denn die Leute dort waren jetzt unsere Familie. Es war eine glückliche Zeit, und wir waren noch Kinder.
Aber unsere Kindheit endete 1966. Da verwandelte die große proletarische Kulturrevolution die Kinder in Rotgardisten.
Ich war fünfzehn, und es war Frühling. Warum beginnen bloß alle Kampagnen im Frühling? Ich war alt genug, ein wenig von Politik zu verstehen, und als die Angriffe auf Peng Zhen,
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