Das Licht Von Atlantis
Geschick wollte es, dass Domaris' einziges Geschenk an ihn der Tod war, und es war das kostbarste aller Geschenke. Ihm schoss durch den Kopf, ob Micon nicht doch recht gehabt hatte: Setzten Domaris und Deoris vielleicht tatsächlich Entwicklungen in Gang, die sie in einem späteren Leben alle wieder zusammenführen würden...?
Er lächelte - ein müdes, gelehrtenhartes Lächeln. Hoffentlich geschah das nicht!
Nun stand Riveda auf und übergab Rajasta das Symbol der Gnade - Jahrhunderte waren vergangen, seit der Gnadendolch zum letzten Mal entsprechend seiner ursprünglichen Bestimmung verwendet worden war - und nahm dafür den juwelenbesetzten Becher an. Wie vorhin die Klinge, hielt der Adept ihn eine lange Minute in den Händen. Mit einem fast sinnlichen Vergnügen dachte er an die Dunkelheit nach dem Tod, die er eigentlich immer geliebt und gesucht hatte. Sein ganzes Leben hatte ihn auf diesen Augenblick hingeführt. Für einen Moment kam ihm zu Bewusstsein, dass er sich genau das immer gewünscht hatte und dass sein Weg in den Tod viel einfacher hätte sein können.
Wieder lächelte er. »Die Wunderwelt der Nacht!« sagte er laut und leerte den Todesbecher in einem einzigen Zug. Dann hob er ihn mit letzter Kraft - und schleuderte ihn zielsicher auf die Estrade. Der Becher traf Rajasta an der Schläfe, und der alte Mann fiel ohne einen Aufschrei in dem gleichen Augenblick, als Riveda unter lautem Rasseln der metallenen Ketten leblos auf den Steinboden niedersank.
7. DAS VERMÄCHTNIS
Zu Deoris großer Verwirrung lief das Leben in seiner Alltäglichkeit weiter wie zuvor. Sie lebte gewissermaßen unter einem Glassturz; ihr Geist war zurückgewandert in die Zeit, als sie und Domaris Kinder waren. Entschlossen klammerte sie sich an ihre Tagträume und Phantasien, und webte sie fort; wenn ein Gedanke aus der Gegenwart hindurchschlüpfte, verbannte sie ihn aus ihrer Idealwelt.
Obwohl ihr Körper jetzt schwer war von jenem merkwürdigen anderen Leben, das sie in sich trug, weigerte sie sich, an ihr ungeborenes Kind zu denken. Die Erinnerung an jene Nacht in der Krypta ließ sie nicht wieder aufsteigen - außer in manchen Alpträumen, aus denen sie schreiend erwachte. Welch ein Ungeheuer vermochte in ihrem Leib darauf warten, geboren zu werden...
Auf einer tieferen Bewusstseinsebene, wo ihre Gedanken verschwommen blieben, herrschten Faszination, Angst und Fassungslosigkeit. Ihr Körper - die unbesiegbare Zitadelle ihres Seins - gehörte ihr nicht mehr, sie war erobert, geschändet worden. Welcher in Riveda hausende Dämon der Finsternis hatte sie zur Mutter gemacht - und zur Mutter welcher Höllenbrut?
Sie hatte begonnen, ihren Körper als etwas Hässliches, das versteckt werden musste, zu hassen und zu verachten. Neuerdings schnürte sie ihn fest mit einem breiten Gürtel zusammen und zwang die rebellischen Umrisse, sich ihrer früheren Schlankheit anzunähern. Sie gab sich Mühe, ihre Kleidung so zu wählen, dass es nicht zu offensichtlich war und Domaris es nicht merkte.
Domaris war nicht blind gegen Deoris' Gefühle - sie konnte sie sogar nachvollziehen: Ihre Angst, ihr Widerstreben, an die Vergangenheit wie an die Zukunft zu denken, ihre Träume und auch ihr Schweigen... Sie hoffte, Deoris werde von selbst einen Weg hinaus finden. Schließlich aber sah sie sich gezwungen, das Thema zur Sprache zu bringen. Denn die neueste Entwicklung war kein Tagtraum, sondern schmerzliche Wirklichkeit.
»Deoris, dein Kind wird noch als Krüppel auf die Welt kommen, wenn du ihm so das Leben abschnürst«, sagte sie. Sie sprach freundlich, mitleidig, wie zu einem Kind. »Du weißt doch selbst, dass...«
Deoris entzog sich ihr aufsässig. »Ich will aber nicht, dass jede Schlampe im Tempel mit dem Finger auf mich zeigt und nachrechnet, wann ich gebären werde!«
Domaris bedeckte für einen Augenblick das Gesicht mit den Händen, krank vor Mitleid. Die Leute hatten Deoris tatsächlich in den Tagen nach Rivedas Tod verspottet und gequält. Aber so eine Vergewaltigung der Natur und dann noch durch Deoris, die Priesterin Caratras gewesen war...
»Hör zu, Deoris«, sagte sie, strenger als sie je seit den schrecklichen Ereignissen gesprochen hatte, »wenn du so empfindlich bist, dann bleib hier in unsern Innenhöfen, wo dich niemand sehen kann. Auf keinen Fall darfst du dir und deinem Kind auf solche Weise Schaden zufügen!« Sie griff nach dem festen Gürtel und löste die Verschlüsse. Auf der geröteten Haut hoben sich weiße
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