Das Licht von Shambala
Ammon. »Ich habe immer gewusst, dass dies meine letzte Reise sein würde.«
»Nicht, Meister!«, widersprach Ufuk. »So etwas dürft Ihr nicht sagen! Nicht hier, nicht jetzt ...«
»Es liegt nicht in unserer Hand, darüber zu bestimmen, Junge«, erklärte der Alte ruhig.
»Aber Eure Zeit ist noch nicht gekommen, das fühle ich.« Ufuk schüttelte den Kopf, Tränen rannen über seine Wangen. »Wenn es sein muss, dann lasst mich an Eurer Stelle gehen.«
»Nein!«, schrie Sarah und wand sich in Igors Klammergriff.
»Schluss jetzt«, entschied Abramowitsch barsch, »wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Wenn der Junge und der Alte es so eilig haben mit dem Sterben, sollen sie eben beide ...«
Dass er nicht weitersprach, sondern vor Schreck die Augen aufriss, lag an der Klinge, die blitzschnell aus der Finsternis auftauchte und sich an seine Kehle legte, geführt von einem übermächtigen Schatten.
»Kein Wort mehr«, zischte ihm eine tiefe Stimme dabei ins Ohr. »Du hast für eine Nacht genug geredet, Russe!«
Abramowitsch wusste nicht, wie ihm geschah, und auch Sarah und die anderen begriffen im ersten Moment nicht, was vor sich ging. Erst als der Schatten den Russen nach vorn stieß und selbst ins fahle Mondlicht trat, wurde klar, was geschehen war: Hieronymos hatte die Schwärze der Nacht genutzt, um zu demonstrieren, weshalb seinesgleichen einst weithin gefürchtet worden war - und um endgültig klarzustellen, auf wessen Seite er stand.
»Gute Arbeit, alter Freund«, wiederholte Sarah Abramowitschs Worte von vorhin und konnte sich ein Lächeln der Genugtuung nicht verkneifen. »Wie es aussieht, hat Sie das Glück erneut verlassen, Hauptmann. Also bitte fordern Sie Ihre Leute auf, die Waffen sinken zu lassen, oder es wird ein böses Ende für Sie nehmen.
»Oder aber«, rief Hingis herüber, »wir beenden diesen kindischen Firlefanz und sehen zu, dass wir von hier fortkommen! Dort kommen die Soldaten des Radschas!«
Sarah fuhr herum.
Tatsächlich!
Gegen die finsteren, gezackten Umrisse der Häuser Rampurs konnte man die hellen Gestalten ausmachen, die sich im Laufschritt näherten. Die Waffen, die sie in ihren Händen hielten - Schwerter, Speere und Musketen - blitzten im Mondlicht.
»Der Schuss hat sie alarmiert«, presste Abramowitsch hervor, der noch immer Hieronymos' Stahl an der Kehle hatte. Trotz aller Vorsicht, die der Ochrana-Agent und sein Handlanger hatten walten lassen, war es dem Zyklopen gelungen, seine Sichelklinge so zu verbergen, dass es niemandem aufgefallen war. »Hingis hat recht. Wenn wir jetzt nicht zusammenarbeiten, sind wir so gut wie tot!«
Sarahs Zögern währte nur einen Augenblick. Es widerstrebte ihr, mit einem Lügner und Verräter zu kooperieren und auf diese Weise zu seinem Komplizen zu werden, aber die Notwendigkeit zwang sie erneut dazu. Sie nickte Hieronymos zu, der die Klinge daraufhin sinken ließ. Abramowitsch fiel auf die Knie. Keuchend griff er sich an den Hals, wo das Sichelschwert einen dünnen roten Faden hinterlassen hatte, und gab eine Verwünschung von sich. Igor kam und half ihm auf die Beine, und im nächsten Moment waren sie auch schon dabei, die Strickleiter zu erklimmen.
Balakow war der Erste, der an Bord ging. Schon im Klettern wies er Pjetr, der die Bordwache hielt, an, die Ballastsäcke abzuwerfen. Die Taue strafften sich.
»Rukho! Rukho!«, rief der Anführer der Soldaten - es war derselbe havildar der sie am Vortag empfangen hatte - mit Donnerstimme herüber. »Im Namen des Radschas! Stehen bleiben!«
Sarah bezweifelte, dass die Wachen schon von der Entführung des fürstlichen Neffen wussten. Vermutlich waren sie durch den Schuss aufmerksam geworden und hatten gesehen, dass die vermeintlichen Gäste dabei waren, sich aus dem Staub zu machen. In Gegenden wie dieser genügte das, um als verdächtig zu gelten.
Natürlich dachte keiner der Reisenden daran, der Aufforderung des Sergeanten nachzukommen. So rasch sie konnten, kletterten sie an der Leiter empor, wobei Hingis den Stumpf seines Armes nutzte, um sich einzuhaken, während er mit der verbliebenen Hand nach der nächsten Sprosse griff. Dann waren Ufuk und el-Hakim an der Reihe.
»Das Luftschiff ist nur für zehn Personen ausgelegt!«, schrie der Russe. »Wir werden nicht abheben können!«
»Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie den Neffen des Radschas entführt haben«, konterte Sarah.
In diesem Moment fiel der erste Schuss.
Die Soldaten waren nahe genug herangekommen, um
Weitere Kostenlose Bücher