Das Licht von Shambala
egoistisch von mir, in diesem Augenblick nur an mich zu denken. Es geht um dich - um dich und das Kind.«
»Außerdem«, fügte sie augenzwinkernd hinzu, »scheinst du davon auszugehen, dass es ein Sohn werden wird.«
»Warum auch nicht?«
»Weil du dich irrst, Geliebter«, beschied sie ihm voller Überzeugung und legte erneut ihre Hand auf die Wölbung. »Es wird ein Mädchen, Kamal.«
Er hob die Brauen. »Wie ...?«
»Ich fühle es.«
»Aber ...«
»Ich weiß es«, verbesserte sie sich, und es war ihrem Tonfall anzumerken, dass sie keinen Widerspruch wünschte.
Sie war seltsam verletzlich und gefühlsbetont in diesen Tagen, deshalb sagte er nichts dagegen. »Also schön«, meinte er stattdessen, »wie soll unsere Tochter also heißen?«
»Hast du einen Vorschlag?«
»Ich denke schon«, erwiderte er mit feierlicher Miene und küsste sie zart auf den Mund, ehe er den ersten Namen nannte, der ihm in den Sinn gekommen war: »Ich wäre dafür, sie Sarah zu nennen. Nach ihrer Mutter ...«
Man konnte sehen, wie das Lächeln von ihren Lippen schwand und ihre Züge sich verfinsterten. »Du hattest schon bessere Einfälle«, sagte sie nur, wälzte sich seitlich aus dem Bett und verließ mit hastigen Schritten das Schlafgemach.
Zum zweiten Mal an diesem Morgen verwünschte sich Kamal für seine unüberlegten Worte, auch wenn er sich diesmal keiner Schuld bewusst war. Im Gegenteil, er hatte geglaubt, ihr damit eine Freude zu bereiten. Weshalb reagierte sie so gereizt?
Er überlegte, ihr nachzulaufen, ließ es aber bleiben. Wenn sie ein solches Verhalten an den Tag legte, kam er nicht an sie heran. Dann hatte er das seltsame Gefühl, einer völlig Fremden gegenüberzustehen. Aber was bedeutete das schon, wenn er sich selbst ein Fremder war?
4.
Da es zu gefährlich war, die Gebirsgpassage bei Dunkelheit anzutreten, begnügte sich Kapitän Balakow damit, das Luftschiff über einem Waldgebiet kreisen zu lassen, das sich westlich von Rampur erstreckte und dessen dichte Vegetation vom Boden aus kaum einen Blick auf den Himmel zuließ. Erst als der Morgen dämmerte und die grauen Felsendome des Himalaya aus den Schatten traten, änderte er den Kurs und steuerte die Berge an.
Das Narkotikum aus dem Wodka, den Abramowitsch dem Radscha verehrt hatte, war offenbar stark gewesen. Als Chandra in den späten Morgenstunden erwachte, klagte er über heftige Kopfschmerzen und konnte sich zunächst an nichts entsinnen. Abramowitsch jedoch sorgte dafür, dass er sich schon sehr bald wieder erinnern konnte.
Der Neffe des Radschas sprach leidlich Englisch, und obwohl ihm die Tatsache, gefangen und entführt worden zu sein, verständlicherweise nicht gefiel, fügte er sich rasch in sein Schicksal - wohl weil Abramowitsch ihm in unvergleichlicher Ochrana-Manier klarmachte, dass er nicht zögern würde, ihn aus zehntausend Fuß Höhe über Bord zu werfen, falls er sich weigern sollte zu kooperieren. Da Chandra nur leichte Pluderhosen und eine Weste trug, erhielt er Dimitris Wollkleidung und dessen Ölzeug, um sich vor Wind und Kälte zu schützen. Wie sich schon an den Vortagen angedeutet hatte, reichte beides jedoch schon bald nicht mehr aus.
Je höher die ›Kamal‹ stieg und je näher sie den Gipfeln kam, desto empfindlicher wurde die Kälte, fast so, als führte die Reise in eine andere Jahreszeit. Auch machte die in dieser Höhe noch sehr viel dünnere Luft sich bemerkbar, vor allem el-Hakim und - überraschenderweise - auch Abramowitschs Handlanger Igor hatten mit Atemnot und Kopfschmerzen zu kämpfen. Ohnehin war fraglich, wie hoch das Luftschiff würde fliegen können. Wie Sarah erst jetzt erfuhr, waren bislang nur Höhen von bis zu eineinhalb Meilen tatsächlich erprobt worden. Und da der Shipki-La, über dessen Passhöhe sie nach Tibet vordringen wollten, rund fünfzehntausend Fuß hoch lag, würde mehr als nur etwas Rückenwind erforderlich sein, um die ›Kamal‹ von einer Seite der Berge auf die andere zu tragen; von dem Unwetter, das sich über den Gipfeln zusammenzubrauen schien und in dessen graue Wolken die Berge ihre schneebedeckten Spitzen bohrten, ganz zu schweigen.
Vorerst jedoch hielt sich das Wetter zurück; nur ferner Donner war zu hören, während das Luftschiff dem Lauf des Flusses Sutlej durch eine Landschaft folgte, die nördlich von Rampur immer wilder und ursprünglicher wurde. Nicht nur, dass die Hänge immer steiler anstiegen, auch die Vegetation wechselte, und statt üppig wuchernden Grüns
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