Das Licht von Shambala
...«
»Natürlich.« Sarah nickte. »Es überrascht mich eigentlich nicht. Und ich dachte, Sie wollten einfach nur mal freundlich sein.«
»Ich hatte Sie gewarnt, oder?«
»Ja, das hatten Sie. Und jetzt warne ich Sie: Bringen Sie den Neffen des Radschas augenblicklich zurück in den Palast, oder ich verpasse Ihnen hier und jetzt eine Kugel!«
»Natürlich, nur zu«, ermunterte Abramowitsch sie grinsend. »Der Knall wird fraglos die Wachen alarmieren, aber ich bin sicher, Sie finden eine passende Erklärung dafür, dass wir den Neffen des Radschas zu einem handlichen Bündel verschnürt an Bord unseres Schiffes genommen haben. Und natürlich brauchen Sie mich nur zu erschießen, um die Situation zu bereinigen. Kapitän Balakow und seine Leute werden Ihren Anordnungen bereitwillig Folge leisten.«
Sarah knirschte wütend mit den Zähnen.
Abramowitsch hatte recht.
Ihm Gewalt anzudrohen war sinnlos, dazu war er zu abgebrüht. Ihm Gewalt anzutun wäre geradezu dämlich gewesen.
»Wir lassen niemanden zurück«, beharrte sie hilflos.
»Doch - und es gibt nichts, was Sie dagegen tun könnten. Noch vor Morgengrauen wird dieses Luftschiff Rampur verlassen, und zwar ohne den Jungen und den Greis. Wenn Sie so klug sind, wie ich denke, dann werden Sie die Notwendigkeit dieses Schrittes begreifen und sich fügen.«
Sarah hielt den Lauf des Berdan II noch immer auf den Russen gerichtet, aber ihre Entschlossenheit hatte merklich nachgelassen. Obwohl das Heft des Handelns scheinbar in ihren Händen lag, fühlte sie sich machtlos und überrumpelt. Schlimmer noch, von einem Standpunkt kühler Logik aus konnte sie Abramowitschs Argumentation sogar nachvollziehen. Aber rechtfertigte die Suche nach einem Geheimnis, und wäre es noch so alt und kostbar, den Verrat an zwei Freunden?
Nein!
Sarah hasste Abramowitsch dafür, dass er sie überhaupt dazu gebracht hatte, in diese Richtung zu denken. Verzweifelt überlegte sie, was zu tun wäre, als Hingis und Ufuk den Landeplatz erreichten, zusammen mit dem alten Ammon. Der Weise wirkte verstört, sein Blick ging ins Leere. Überhaupt war er seit Beginn der Reise noch einmal sichtlich gealtert, wie Sarah bedrückt feststellte.
»Bravo, Lady Kincaid«, lobte Abramowitsch mit vor Sarkasmus triefender Stimme. »Wenn Sie auf Ärger aus waren - nun haben Sie ihn.«
»Ich bin es nicht, der zwei Besatzungsmitglieder zurücklassen will«, stellte Sarah klar, »also kommen Sie mir nicht so. Friedrich, Ufuk - nehmt Kapitän Balakow und Dimitri die Waffen ab, und dann ...«
Weiter kam sie nicht, denn in diesem Augenblick wendete sich das Blatt. Sarah sah noch, wie ein Schatten auf sie fiel, im nächsten Moment wurde sie von etwas hart getroffen und von den Beinen gerissen. Mit einem erstickten Schrei ging sie zu Boden, dabei betätigte sie versehentlich den Abzug des Gewehrs, ehe es ihr aus der Hand gerissen wurde. Der Schuss krachte und zerriss die Stille der Nacht. Noch ehe er ganz verklungen war, wurde Sarah von jemandem gepackt und emporgezerrt, und einen Herzschlag später hatte sie den Lauf eines Revolvers an ihrer Schläfe.
Igor.
Der Leibwächter Abramowitschs hatte die Geschehnisse vom Luftschiff aus verfolgt. Tollkühn war er an der Ankerleine herabgeglitten und hatte sich auf Sarah gestürzt, die mit dem Angriff von oben nicht gerechnet hatte.
»Gute Arbeit, alter Freund«, lobte Abramowitsch und holte sich sein Gewehr zurück, während Balakow und Dimitri ihrerseits die Waffen zückten und Hingis, Ufuk und el-Hakim damit in Schach hielten. »Sind Sie immer noch der Ansicht, dass Sie ungerecht behandelt werden, Lady Kincaid?«
»Allerdings«, knurrte Sarah ungeachtet des drohenden Revolverlaufs.
»Vielleicht«, überlegte der Ochrana-Mann, »sollten wir dem Streit ein Ende setzen, indem wir vollendete Tatsachen schaffen.«
»Nein!«, rief Sarah, der sofort klar war, was er damit meinte. »Tun Sie das nicht! Der Junge und el-Hakim können nichts dafür ...«
»Sieh an.« Abramowitsch wog den Kopf hin und her. »Wie höflich Sie plötzlich sein können, wenn es um das Leben Ihrer Freunde geht.«
»Bitte«, wiederholte Sarah, da es genau das zu sein schien, was der Russe hören wollte, »tun Sie ihnen nichts!«
»Wie gerne würde ich Ihrer Aufforderung Folge leisten - aber ich fürchte, die Notwendigkeit zwingt mich zu anderen Maßnahmen.«
»Nein!«, widersprach Sarah trotzig. Tränen der Verzweiflung stiegen ihr in die Augen.
»Lass es gut sein, Kind«, sagte der alte
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