Das Licht von Shambala
Ereignisse in Gang gesetzt, die sie schließlich hierher geführt und in diese Lage gebracht hatten ...
Waren Hieronymos und Ston-Pa also im Recht? Musste Kamal geopfert werden, um die Katastrophe abzuwenden? Verzweiflung ergriff von Sarah Besitz, vor der es kein Entkommen gab. Die Entscheidung musste getroffen werden, so oder so ...
Eine Hand legte sich auf ihre Schulter, sanft, fast zärtlich.
Sie blickte zögernd auf und schaute in Ufuks jugendliche Züge, aus denen jedoch die Weisheit und das Alter Ammons sprachen. Selbst der Blick seiner Augen war glasig und ins Leere gerichtet, genau wie es bei el-Hakim der Fall gewesen war.
»Sarah«, sagte er sanft, »Meister Ammon hatte gesagt, dass es dazu kommen würde, nicht wahr? Damals in jenem Zelt, als wir Abramowitschs Gefangene waren.«
Sarah nickte. Sie erinnerte sich, auch wenn es eine Ewigkeit zurückzuliegen schien.
»Genau das wollte Gardiner dir ersparen«, fuhr Ufuk fort. »Er hatte dieselbe Erfahrung gemacht wie du, und weil er diese Entscheidung niemals treffen wollte, weil er niemals wählen wollte zwischen einem geliebten Menschen und seiner moralischen Pflicht, hat er dir alles verheimlicht.«
»Die Bindung an irdische Dinge«, fügte Abt Ston-Pa erklärend hinzu, »macht uns in gewisser Weise erpressbar. Deshalb glauben wir Buddhisten, dass in der Askese die Antwort liegt, denn nur sie macht uns frei von weltlichen Begierden und Bedürfnissen.«
»Ich will keine Antworten mehr«, behauptete Sarah mit dem störrischen Trotz eines Kindes. »Ich will Kamal! Ich will ihn mehr als alles andere, verstehen Sie? Ich möchte ihn zurück, möchte mit ihm eine Familie haben und ein normales Leben führen!«
»Das ist verständlich«, redete Ufuk ihr zu. »Dennoch wirst du mit diesem Wunsch womöglich alles zerstören, denn die Bruderschaft weiß um deine Schwäche für ihn, und sie wird alles daransetzen, sie für ihre Zwecke zu nutzen.«
»Ich werde Kamal nicht einfach opfern«, stellte Sarah klar.
»Dann war alles vergeblich«, konterte Hieronymos kalt, »und meine Brüder haben ihr Leben für nichts gegeben.«
Betroffen schaute Sarah von einem zum anderen, sah die Sorge in den Mienen ihrer Freunde. Es kam ihr vor, als ob sie unter Anklage stünde, und wieder verspürte sie den unbändigen Drang, aufzuspringen und einfach davonzulaufen, an einen Ort, wo sie niemand finden konnte.
Aber diese Möglichkeit gab es nicht.
Wohin auch immer sie sich wandte, ihre Vergangenheit würde sie einholen. Sie musste ihr die Stirn bieten.
Hier und jetzt!
»Also gut«, sagte sie leise, aber mit fester Stimme. »Ich werde nach Shambala gehen und mich dem Schicksal stellen. Aber vorher werde ich versuchen, Kamal zu befreien.«
»Mylady ...«
»Kennst du den Weg nach Kag Redschet-Pa, Hieronymos?«
Der Zyklop senkte den Blick. »Ja, Mylady, aber ...«
»Mein Entschluss steht fest«, bekräftigte Sarah. »Wenn ich wirklich diejenige bin, für die ihr mich haltet, dann steht es niemandem zu, ihn in Frage zu stellen. Ich werde Kamal ausfindig machen und feststellen, auf wessen Seite er steht. Wenn er noch immer der Mann ist, den ich liebe - und daran hege ich nicht den geringsten Zweifel -, werden wir ihn befreien und gemeinsam nach Shambala ziehen.«
»Und wenn nicht?«
»Wir sind alle in Gottes Hand, ehrwürdiger Abt«, entgegnete Sarah ausweichend, worauf der Mönch eine weitere Verbeugung andeutete. Seine Mitbrüder folgten seinem Beispiel.
»Wer kommt mit mir?«, fragte sie in die Runde.
»Die Mönche von Tirthapuri werden Sie bis an die Ausläufer des Kailash begleiten und danach die khora vollziehen, um Unterstützung und Glück für Ihre Unternehmung zu erbitten«, gab Ston-Pa zur Antwort. »Den heiligen Berg selbst werden sie jedoch nicht betreten.«
»Und du, Hieronymos?«
»Ich stehe zu meinem Eid.«
»Auch wenn ich von dir verlange, gegen deine Überzeugung zu handeln?«
»Auch dann.«
»So, wie wir zu dem Versprechen stehen, das Meister Ammon Ihnen gegeben hat«, versicherte Ufuk, der nun wieder er selbst zu sein schien. »Auch wenn ich mich davor fürchte, das letzte Geheimnis zu ergründen.«
»Ich weiß dein Angebot zu schätzen«, versicherte Sarah, »und ich war dankbar und froh, dass du mich auf dieser Reise begleitet hast. Doch von nun an benötige ich die Hilfe des Meisters nicht länger. Ich weiß nun, wer ich bin und was meine Bestimmung ist. Bleib hier im Kloster und hüte das Wissen, das der Weise dir anvertraut hat.«
»Sind Sie
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