Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Licht von Shambala

Das Licht von Shambala

Titel: Das Licht von Shambala Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
anderer, sehr viel aktuellerer Beleg war der Codicubus, der sich nur mit Hilfe magnetischer Kräfte öffnen ließ. Als Sarah den Kuppelsaal betrat und die schwebende Skulptur erblickte, verstand sie, woher die Bruderschaft ihre Kenntnisse bezogen hatte.
    »Da staunst du, nicht wahr?«, erkundigte sich Ludmilla von Czerny mit einem Stolz, als hätte sie das physikalische Kunststück selbst zuwege gebracht. »Damit hast du wohl nicht gerechnet?«
    Erneut verzichtete Sarah auf eine Erwiderung, sondern versuchte, klar und logisch zu denken. In den ptolemäischen Texten war davon die Rede, dass die Statue in Alexandria unter einer Kuppel aus Erz geschwebt hatte, was den Schluss nahe legte, dass auch diese Halle zumindest teilweise aus Metall bestand. Sarahs Blick wanderte an den riesigen Pfeilern empor, die das Gewölbe stützten und sich im Zenit der Kuppel vereinten. Wer auf Erden war in der Lage, so etwas zu bauen?
    »Wie ich sehen kann, Lady Kincaid, sind Sie von unseren Errungenschaften tief beeindruckt, n'est-ce pas ?«
    Sarah zuckte zusammen.
    Nicht nur, weil die Stimme, die zugleich spöttisch und herausfordernd klang, sie aus ihren Gedanken riss, sondern auch, weil sie ihr entfernt bekannt vorkam. Wie der Nachhall von etwas, das in ihrem Leben einst eine wichtige Rolle gespielt hatte.
    Oder von jemandem ...
    Die Gefangenen fuhren herum. Ein Mann gesellte sich zu ihnen, dessen Alter nur schwer zu schätzen war. Bekleidet war er mit einem weiten schwarzen Mantel, dessen Schulterpartie fellbetresst und mit einem Überwurf versehen war. Seine schwarzen Lederstiefel waren blank poliert, in seiner Rechten hielt er einen Gehstock mit goldenem Knauf. Seine Haltung war aufrecht, seine Hautfarbe von aristokratischer Blässe. Sein kurz geschnittenes Haar war weiß, was ihn betagter erscheinen ließ, als er wohl tatsächlich war. Die jugendliche Entschlossenheit in seinen kantigen Zügen machte diesen Eindruck jedoch wieder wett. Ein Paar eisblauer Wolfsaugen blitzte Sarah aus dem Gesicht entgegen, das ihr fremd und vertraut zugleich erschien. Fremd, weil sie diesem Mann noch nie zuvor begegnet war. Vertraut, weil er jemandem auf bedrückende Weise ähnlich sah.
    »Offen gestanden, ma here, hatte ich nicht damit gerechnet, dass wir uns einmal persönlich kennen lernen würden. Schließlich habe ich es bislang stets verstanden, dezent im Hintergrund zu bleiben, n'est-ce pas? Ihre Beharrlichkeit ist in der Tat erstaunlich, aber die Weichen sind längst gestellt. Selbst Sie können nichts mehr daran ändern.«
    Es war nicht nur sein Aussehen. Auch seine Körperhaltung, seine Sprechweise und die Angewohnheit, seine englischen Sätze mit Brocken seiner Muttersprache auszuschmücken, um ihnen auf diese Weise mehr Nachdruck zu verleihen, weckten bei Sarah ein Gefühl von Vertrautheit.
    »Willkommen an der Pforte der Weisheit«, sagte er.
    »Wer sind Sie?«, fragte Sarah unverwandt, ahnend, dass ihr die Antwort nicht gefallen würde.
    Der Weißhaarige taxierte sie aus seinen Wolfsaugen, dann nickte er bedächtig. »Eh, bien«, meinte er dazu, »ich denke, Sie haben ein Recht, es zu erfahren, nach allem, was Sie zweifellos auf sich genommen haben - auch wenn es völlig vergeblich gewesen ist. Mein Name, ma here, ist du Gard. Lemont Maurice du Gard ...«

9.
     
    P FORTE DER W EISHEIT
    M OUNT K AILASH
    N ACHT DES 23. J UNI 1885
     
    Du Gard! Allein die Erwähnung des Namens genügte, um Sarah für einen Moment die Fassung verlieren zu lassen. Konnte es einen solchen Zufall geben? Sollten sie einander ausgerechnet hier begegnen?
    Natürlich erklärte es die verblüffende Ähnlichkeit, so, wie es viele andere Dinge erklärte. Aber Sarah war zu überwältigt von der Wucht des Augenblicks, als dass sie in der Lage gewesen wäre, einen Zusammenhang herzustellen. Selbst Hingis schien es so zu gehen, trotz seines sonst messerscharf arbeitenden Verstandes.
    »Sie sind ein Lügner!«, ereiferte er sich. »Maurice du Gard ist tot! Er starb während eines Einsatzes in ...«
    »Ich weiß«, entgegnete der Weißhaarige nur. »Da er uns gefährlich wurde, hatte ich leider keine andere Wahl. Wissen Sie, was es für ein Gefühl ist, Doktor, sein eigen Fleisch und Blut auszumerzen und sich damit selbst die Aussicht auf Unsterblichkeit zu versagen?«
    »Sein eigen Fleisch und Blut?« Hingis starrte den Mann im Mantel ungläubig an. Sarah hingegen hatte inzwischen begriffen, auch wenn sich ihr Herz der Wahrheit noch immer verschloss.
    »Er hat mir von

Weitere Kostenlose Bücher