Das Licht von Shambala
ans Ziel führen.«
Sarah stutzte. »Was habt Ihr gerade gesagt, Meister?«
»Ich sagte, dass du auf das Licht vertrauen sollst und dass es dich ans Ziel führen wird.«
»Auch Maurice du Gard sagte das«, erwiderte Sarah verblüfft. »Kurz darauf wurde er an Bord der ›Egypt Star‹ ermordet.«
»Und dennoch zweifelst du immer noch? Ich weiß um die Kämpfe, die hinter dir liegen, mein Kind. Als Tochter eines Wissenschaftlers fühlst du dich der Vernunft verpflichtet, dennoch hast du die Erfahrung gemacht, dass die Vernunft nicht das Ende der Weisheit ist. Die Zeit ist gekommen, um zu glauben, Sarah Kincaid.«
»Vielleicht.« Sarah nickte, während sie gleichzeitig das Gefühl hatte, als würde sich ein dunkler Schatten auf ihr Herz legen. »Ich wünschte nur, es wäre so einfach.«
»Es ist einfach«, meinte der Alte überzeugt. »Was hindert dich daran, mir auf dem Pfad der Weisheit zu folgen? Der Schweizer?«
»Nein.« Sarah schüttelte den Kopf. El-Hakim nannte Hingis meist nur schlicht den »swÎsrΫ, was jedoch kein Ausdruck von Geringschätzung war, sondern nur daher rührte, dass der Genfer Gelehrte der einzige Eidgenosse war, den Ammon in seinem ganzen Leben kennengelernt hatte. »Es ist etwas anderes. Etwas, das aus meinem Herzen kommt. Aus meiner Vergangenheit ...«
»Willst du darüber sprechen?«
Sarah schaute den alten Ammon an. So viel Menschlichkeit und Güte sprach aus seinen zerfurchten Zügen, dass sie sich danach sehnte, sich ihm anzuvertrauen. Aber konnte sie das? Oder riskierte sie damit, alles zu verlieren, auch noch den letzten Rest, der ihr verblieben war? Womöglich würde er sie aus seinem Haus jagen, wenn er von ihren dunkelsten Ängsten erfuhr ...
Sie beschloss, es dennoch zu tun.
»Ihr wisst, dass ich mich nicht an meine Kindheit erinnern kann«, sagte Sarah leise. »Im Alter von acht Jahren habe ich das Wasser des Lebens getrunken und erinnere mich deshalb an nichts, was vorher geschehen ist. Alles, was ich habe, sind die Erinnerungen, die Gardiner Kincaid mir gegeben hat: von meiner Kindheit in England, von meiner Mutter, die ich nie kennengelernt habe ...«
»Und?«, fragte der alte Ammon.
»Meister«, fragte Sarah, wobei sie sich überwinden musste, die Worte auszusprechen, »ist Euch je der Gedanke gekommen, dass Gardiner auch in dieser Hinsicht die Unwahrheit gesagt oder mir wichtige Dinge verschwiegen haben könnte?«
»Was bringt dich auf diesen Gedanken, Kind?«, erkundigte sich der Alte. Besorgnis sprach aus seinen Zügen.
»Ich sage nicht, dass er es in böser Absicht getan hat«, schränkte Sarah ein. »Vielleicht ging es ihm nur darum, mich zu beschützen, genau wie in all den anderen Fällen, in denen er die Wahrheit in seinem Sinn gebeugt hat. Und womöglich«, fügte sie so leise hinzu, dass ihre Worte kaum noch zu verstehen waren, »hat er auch die Unwahrheit gesagt, als er behauptete, mein Vater zu sein ...«
Es war ausgesprochen.
Sarah biss sich auf die Zunge, als wollte sie sich selbst dafür bestrafen. Aber gleichzeitig empfand sie auch Erleichterung darüber, den hässlichen Verdacht offen geäußert zu haben.
Der Weise tadelte sie nicht, noch verlachte er ihre Befürchtungen oder tat sie als abwegig ab. »Wer«, fragte er nur, »hat diesen Zweifel in dein Herz gesät? Das Licht meiner Augen mag mich verlassen haben, aber ich kann deutlich sehen, dass dieser Gedanke nicht von dir kommt. In all den Jahren warst du Gardiner treu ergeben, hast ihn als deinen Vater geliebt ...«
»Das tue ich noch immer«, versicherte sie.
»Aber du nennst ihn nicht mehr deinen Vater«, wandte er ein. »Ich habe bemerkt, dass du ihn nur noch beim Namen nennst, als wäre er ein Fremder. Also frage ich dich, Sarah: Wer war es, der diesen gemeinen Verdacht geäußert hat?«
»Laydon«, sagte sie nur.
»Gardiners Mörder.« El-Hakim nickte, als hätte er nichts anderes erwartet.
»Als ich Kamal im Zuchthaus von Newgate besuchte, traf ich dort auch auf Laydon«, erklärte Sarah. »Ich dachte, er könnte mir Informationen über die Bruderschaft geben, also unterhielt ich mich mit ihm ...«
»Und er behauptete, dass Gardiner Kincaid nicht dein Vater wäre?«
»Nicht nur das. Er sagte auch, dass ich in Wahrheit ...« Sie unterbrach sich. Den Satz zu Ende zu denken war schon schwer genug, ihn laut auszusprechen beinahe unmöglich. »... dass ich in Wahrheit seine Tochter wäre«, eröffnete sie schließlich gegen alle Widerstände und mit Tränen in den Augen.
»Und
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