Das Licht von Shambala
ihre Augen ihr keinen Streich spielten. Aber es bestand kein Zweifel. Die Zeichen waren so wirklich wie der Stein, in den sie geschlagen waren.
Sie waren am Ziel ihrer Suche.
Für einen Augenblick war Sarah wie erstarrt. Von dem Tag an, da sie mit ihrer Suche nach den Arimaspen begonnen hatte, hatte sie auf diesen Moment gewartet. Nun, da er gekommen war, war sie von Gefühlen überwältigt. Genugtuung und Dankbarkeit waren darunter, aber auch neue Hoffnung.
»Und?«, erkundigte sich Hingis feierlich. »Was sagst du?«
Sarah antwortete auf ihre Weise - mit einem Kuss auf seine schmutzige Wange. »Gute Arbeit, Kollege«, versicherte sie.
»Das Lob kann ich nur erwidern. Und sollte ich jemals an deinen Fähigkeiten als Wissenschaftlerin gezweifelt haben, so bin ich ein verdammter Idiot gewesen.«
»Nein«, widersprach sie lächelnd. »Nur ein guter Freund.«
Auch Ufuk und der alte Ammon kamen dazu. Als der Weise das Zeichen des Eroberers ertastete, sprach er einige unverständliche Worte, schien ansonsten aber nicht weiter verwundert - anscheinend hatte er nichts anderes erwartet.
Nun wollte Sarah keine Zeit mehr verlieren. Sie zog die Arbeiter von ihrer Grabungsstelle ab, und gemeinsam ging man daran, die übrigen Steine freizulegen, die Hingis und seine Leute im Morast gefunden hatten. Wie sich herausstellte, waren es nur Trümmer; obwohl es einst massive Quadern gewesen sein mussten, hatte etwas sie auseinander gerissen, und den glatten Bruchkanten nach zu urteilen, musste dies unter Einwirkung ungeheurer Gewalt geschehen sein.
»Granaten«, meinte Yuri überzeugt. »Britische Kanonen beschießen Hügel, lassen keinen Stein auf dem anderen.«
Sarah dachte einen Augenblick nach. Den Schilderungen Ammons nach, war die unterirdische Anlage infolge des Artilleriefeuers bereits teilweise eingestürzt gewesen, als Gardiner aus seiner Ohnmacht erwachte. Die Sorge, sie könnten lediglich die Überreste des alten Tempels entdeckt haben, ließ Sarahs Hoffnung wieder schwinden. »Wir werden Probebohrungen vornehmen«, ordnete sie an. »Wenn es hier irgendwo einen Hohlraum gibt, müssen wir ihn finden.«
»Einverstanden«, bestätigte Hingis, dem der Finderstolz ins Gesicht geschrieben stand. An Schliemanns Suche nach Troja hatte der Schweizer damals nicht teilgenommen, aus Furcht vor dem, was ihn außerhalb von Bibliotheken und Vorlesungssälen erwarten mochte; diesmal jedoch war er dabei, und seine Freude darüber ähnelte der eines kleinen Jungen, der Schatzsucher spielte.
Nach Sarahs Vorgaben wurden Markierungen angebracht, an denen die Bohrer ins Erdreich getrieben wurden - und tatsächlich dauerte es nicht lange, bis das Eisen in einen Hohlraum vordrang. Erneut gingen die Gräber zu Werke, und als sie diesmal fündig wurden, war es nicht nur ein einzelnes Stück Stein; es waren mehrere aneinander gefügte, flache Quadern. Einer von ihnen war eingebrochen, darunter befand sich der Hohlraum, den die Bohrung offenbart hatte.
Sarah nahm einen Stab und stieß ihn hinab, um die Größe der Hohlkammer auszuloten. Als sie damit nirgendwo auf Widerstand stieß, beschleunigte sich ihr Pulsschlag erneut. Offenbar befand sich unter den Quadern ein unterirdischer Raum von beträchtlicher Größe.
Durch die Öffnung, die gerade groß genug war, dass sich ein schlanker Mensch hindurchzwängen konnte, warfen sie einige Fackeln hinab, deren Schein jedoch nicht ausreichte, die Kammer ganz zu beleuchten. Nur felsiger Boden war zu sehen, auf den vermutlich seit langer Zeit kein Mensch mehr einen Fuß gesetzt hatte.
»Das muss es sein«, meinte Sarah überzeugt. »Wahrscheinlich ist Vater an einer anderen Stelle eingebrochen. Aber es scheint dieselbe Anlage zu sein.«
Sie selbst bemerkte nicht, dass sie Gardiner Kincaid in der Aufregung ihren Vater nannte, obwohl sie es seit geraumer Zeit peinlich zu vermeiden suchte; dem alten Ammon jedoch blieb es nicht verborgen. »Ich stimme dir zu, Kind«, sagte er. »Dort in der Tiefe ruht das Rätsel, das Gardiner zu entwirren suchte.«
»Was werden wir tun?«, fragte Hingis mit besorgtem Blick zum Himmel. »Nicht mehr lange, und es wird dunkel.«
»Dort unten, mein Freund«, erwiderte Sarah, während sie schon dabei war, ihre Sachen zu packen, »ist es immer dunkel. Es spielt also keine Rolle, ob es hier draußen Tag ist oder Nacht.«
Der Logik dieser Argumentation hatte der Schweizer nichts entgegenzusetzen, aber ihm war anzusehen, dass er sich lieber bei hellem Sonnenschein auf
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