Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
Mutter sei ertrunken. Er meinte, Isabel habe den Vorfall melden wollen, doch er habe sie daran gehindert. Er habe ihr Vorwürfe gemacht, weil sie ihm keine Kinder schenken konnte. Offenbar war seitdem alles nur eine Lüge – nichts als Theater. Wir müssen ermitteln, Bill …« Nach kurzem Zögern senkte er die Stimme. »Und dann ist da noch die Frage, wie Frank Roennfeldt gestorben ist. Wer weiß, was Sherbourne sonst noch zu verbergen und was er Isabel zu verschweigen gezwungen hat? Es ist eine sehr unschöne Angelegenheit.«
So eine Aufregung hatte es in der Stadt schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Wie der Chefredakteur der South Western Times zu einem Kollegen im Pub sagte: »Nur wenn Jesus Christus persönlich hier auftauchen und uns allen ein Bier ausgeben würde, hätten wir eine noch größere Sensation. Eine Mutter und ihr Kind werden wieder vereint. Dazu ein geheimnisvoller Todesfall. Und Potts, der alte Geldsack, verschenkt den Kies, als hätten wir Weihnachten. Die Leute können nicht genug davon kriegen.«
Am Tag nach der Rückkehr des Kindes ist Hannahs Haus noch immer mit Luftschlangen geschmückt. Eine neue Puppe, deren zartes Porzellangesicht in der Nachmittagssonne schimmert, sitzt, verlassen und die Augen lautlos flehend aufgerissen, auf einem Stuhl in der Ecke. Die Uhr auf dem Kaminsims tickt beharrlich, und eine Spieluhr dudelt »Rock-a-bye-Baby«, was unter den gegebenen Umständen makaber und bedrohlich klingt. Die Musik wird vom Kreischen aus dem Garten übertönt.
Das Kind hat sich ins Gras geworfen und schreit wie am Spieß. Sein Gesicht ist vor Angst und Wut hochrot. Die Haut an seinen Wangen ist angespannt, und die gefletschten Zähne wirken wie die Tasten eines winzigen Klaviers. Wenn Hannah die Kleine aufzuheben versucht, reißt sie sich jedes Mal los und kreischt nur umso lauter.
»Grace, Liebling. Pssst, Grace. Komm bitte.«
»Ich will zu meiner Mama. Ich will zu meinem Dadda. Geh weg! Ich mag dich nicht!«, ruft das Kind hilflos.
Um die Wiedervereinigung von Mutter und Kind durch die Polizei wurde ein großer Rummel gemacht. Fotos wurden geschossen und die Polizisten und der liebe Gott mit Lob überhäuft. Wieder brodelte die Gerüchteküche in der Stadt und berichtete vom verträumten Gesichtsausdruck des Kindes und vom glücklichen Lächeln der Mutter. »Das arme Kind, es war so müde, als man es seiner Mutter brachte. Ein kleiner Engel. Man kann dem lieben Gott nur danken, dass er es aus den Klauen dieses Mannes befreit hat!«, verkündete Fanny Darnley, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Constable Garstones Mutter Einzelheiten zu entlocken. Allerdings war Grace nicht müde, sondern kaum noch bei Bewusstsein gewesen, da Dr. Sumpton ihr ein starkes Schlafmittel verabreicht hatte, als klar geworden war, dass sie sich nicht ohne Weinkrämpfe von Isabel würde trennen lassen.
Und nun stand Hannah hilflos vor einer völlig verängstigten Tochter. All diese Jahre hatte sie sie so innig in ihrem Herzen bewahrt, dass sie gar nicht auf den Gedanken gekommen war, umgekehrt könnte es anders sein. Als Septimus Potts in den Garten hinaustrat, hätte er nicht sagen können, wer von den beiden verzweifelter wirkte.
»Grace, ich will dir nichts tun, mein Schatz. Komm zu Mummy«, flehte Hannah.
»Ich heiße nicht Grace, sondern Lucy!«, brüllte das Kind. »Ich will nach Hause! Wo ist Mama? Du bist nicht meine Mummy!«
Jeder Wutausbruch traf Hannah wie ein Schlag. »Ich habe dich so lange geliebt. So lange …«, brachte sie nur heraus.
Septimus erinnerte sich an seine eigene Hilflosigkeit, als Gwen etwa im gleichen Alter gewesen war und unablässig nach ihrer Mutter verlangt hatte, als habe er seine verstorbene Frau irgendwo im Haus versteckt. Es ging ihm immer noch nah.
Hannah bemerkte ihren Vater, erkannte an seiner Miene, dass er die Situation richtig einschätzte, und fühlte sich entsetzlich gedemütigt.
»Sie braucht Zeit, um sich an dich zu gewöhnen. Hab Geduld, Hanny«, sagte er. Inzwischen hatte das Mädchen ein Versteck zwischen dem alten Zitronenbaum und einem Stachelbeerbusch gesucht und kauerte fluchtbereit da.
»Sie hat keine Ahnung, wer ich bin, Dad. Überhaupt keine. Sie lässt mich nicht in ihre Nähe.« Hannah schluchzte auf.
»Sie wird sich wieder beruhigen«, erwiderte Septimus. »Entweder wird sie müde werden und dort einschlafen oder Hunger bekommen. Du brauchst nur abzuwarten.«
»Ja, ich weiß, sie muss mich erst wieder
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