Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
aufschrie: kein kurzes Kreischen, sondern ein mörderisches Gebrüll aus voller Kehle, das die Fenster zum Erzittern brachte.
»Mama, mach, dass sie weggeht! Mama, schick sie weg!«
Die anderen Kunden beobachteten die Szene, die Männer verdattert, die Frauen entsetzt. Das Gesicht des kleinen Mädchens war verzerrt und hochrot. »Bitte, Mama!«, flehte sie, beide Hände auf Isabels Wangen. Sie schrie die Worte heraus, als müsse sie eine große Entfernung oder Schwerhörigkeit überwinden. Isabel schwieg noch immer.
»Vielleicht könnten wir …« Doch Gwen wurde von ihrer Schwester unterbrochen.
»Lassen Sie sie los!«, rief Hannah, unfähig, Isabels Namen auszusprechen. »Sie haben genug angerichtet«, fuhr sie, ein wenig ruhiger, aber mit einem schneidenden Unterton fort.
»Wie können Sie so grausam sein?«, brach es aus Isabel heraus. »Sie sehen doch, in welchem Zustand sie sich befindet! Sie haben doch keine Ahnung, wer sie ist, was sie braucht und wie man sie versorgt! Wenn Sie schon nicht gütig sein können, dann seien Sie wenigstens vernünftig!«
»Lassen Sie meine Tochter los! Sofort!«, befahl Hannah, die am ganzen Leib bebte. Ihr sehnlichster Wunsch war es, den Laden so schnell wie möglich zu verlassen und die magnetische Verbindung zu durchbrechen. Sie entriss Isabel das Kind und umklammerte die Taille von Grace, die sich wild sträubte.
»Mama! Ich will zu meiner Mama! Lass mich los!«, schrie das kleine Mädchen.
»Schon gut, Schatz«, sagte Hannah. »Ich weiß, dass du wütend bist, aber wir können nicht bleiben.« So versuchte sie, das Kind mit Worten zu beschwichtigen, während sie es festhielt, damit es sich nicht ihren Armen entwinden und davonlaufen konnte.
Gwen sah Isabel an und schüttelte hilflos den Kopf. Dann drehte sie sich zu ihrer Nichte um. »Pssst, Liebling, nicht weinen.« Sie tupfte ihr mit einem zarten Spitzentaschentuch das Gesicht ab. »Komm nach Hause, dann gibt es auch ein Bonbon. Bestimmt vermisst dich Tabatha Tabby schon. Komm, Kleines.« Und so redeten Hannah und Gwen weiter beruhigend auf das kleine Mädchen ein, während das Trio auf die Tür zusteuerte. Als sich Gwen auf der Schwelle noch einmal umdrehte, erkannte sie die Verzweiflung in Isabels Augen.
Im ersten Moment standen alle da wie erstarrt. Isabel blickte ins Leere und wagte nicht, sich zu bewegen, damit die Berührung ihrer Tochter nicht verflog. Währenddessen musterte ihre Mutter die Verkäufer warnend, damit sie bloß keinen Mucks von sich gaben. Der Junge, der den Leinenballen entrollt hatte, griff nun danach und wickelte ihn auf.
Larry Mouchemore nahm das als Stichwort, sich wieder seiner betagten Kundin zuzuwenden. »Sie wollten zwei Meter von der Spitze, richtig?«
»Ja … ja, nur zwei Meter«, erwiderte sie so unbekümmert wie möglich. Allerdings zog sie einen Kamm anstatt der Münzen aus der Tasche, als es ans Bezahlen ging.
»Komm, Liebes«, sagte Violet zu Isabel, »ich glaube, ich möchte doch nicht mehr die gleiche Wolle. Ich sehe mir noch einmal das Strickmuster an und entscheide mich dann.«
Fanny Darnley, die auf dem Gehweg mit einer anderen Frau plauderte, starrte den beiden hinterher, als sie aus dem Laden traten und die Straße entlanggingen.
Knuckey schlendert die Landzunge von Point Partageuse entlang und lauscht den Wellen, die auf beiden Seiten an die Ufer schlagen. Er kommt abends nach dem Essen immer hierher, um in Ruhe nachzudenken. Das Geschirr, das seine Frau gespült hat, hat er schon abgetrocknet. Er vermisst die Zeit, als seine Kinder noch im Haus waren und dabei geholfen haben, sodass es zu einem Spiel wurde. Inzwischen sind sie erwachsen. Als er an den kleinen Billy denkt, der für immer drei Jahre alt bleiben wird, lächelt er.
Er dreht eine Muschel, die kühl und abgerundet ist wie eine Münze, zwischen den Fingern. Familien. Nur der liebe Gott weiß, was ohne seine Familie aus ihm geworden wäre. Dass eine Frau sich ein Baby wünscht, ist doch das Natürlichste von der Welt. Seine Irene hätte alles getan, um Billy zurückzubekommen. Alles. Wenn es um ihre Kinder geht, werden Eltern nur von ihren Instinkten und der Hoffnung getrieben. Und der Angst. Regeln und Gesetze spielen keine Rolle.
Gesetz ist zwar Gesetz, aber Menschen sind Menschen. Er erinnert sich an den Tag, an dem die ganze traurige Geschichte anfing: der Heldengedenktag, den er wegen der Beerdigung seiner Tante in Perth verbracht hat. Er hätte sich die Bande später vorknöpfen können,
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