Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
der Universität von Sydney aus der Nase gezogen und empfand seine Wortkargheit allmählich als ärgerlich. »Ich könnte Ihnen so viel erzählen – von meiner Oma, die mir Klavierstunden gegeben hat, was ich noch von meinem Opa weiß, obwohl der gestorben ist, als ich noch ganz klein war. Ich kann Ihnen beschreiben, wie es ist, in einer Kleinstadt wie Partageuse die Tochter des Schuldirektors zu sein. Und auch von meinen Brüdern Hugh und Alfie, die mit der Jolle herumgealbert haben und flussaufwärts zum Angeln gefahren sind.« Sie betrachtete das Wasser. »Ich vermisse diese Zeit noch immer.« Nachdenklich wickelte sie sich eine Haarlocke um den Finger und holte tief Luft. »Es ist … als warte eine ganze Galaxie darauf, von einem erkundet zu werden. Und ich will mehr über Ihre erfahren.«
»Was möchten Sie sonst noch wissen?«
»Zum Beispiel etwas über Ihre Familie.«
»Ich habe einen Bruder.«
»Darf ich Sie nach seinem Namen fragen, oder haben Sie ihn vergessen?«
»Den vergesse ich nicht so schnell. Cecil.«
»Was ist mit Ihren Eltern?«
Tom betrachtete das Licht an der Spitze eines Masts. »Was soll mit ihnen sein?«
Isabel setzte sich auf und blickte ihm in die Augen. »Ich frage mich, was sich da drinnen tut.«
»Meine Mutter ist tot. Zu meinem Vater habe ich keinen Kontakt.« Ihr war der Schal von der Schulter gerutscht, und er zog ihn wieder hoch. »Wird Ihnen nicht ein wenig kühl? Wollen wir umkehren?«
»Warum möchten Sie nicht darüber reden?«
»Ich erzähle es Ihnen, wenn es Ihnen so wichtig ist. Allerdings würde ich es lieber nicht tun. Manchmal ist es besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen.«
»Die Familie ist niemals Vergangenheit. Man nimmt sie überall hin mit.«
»Wie schade.«
Isabel richtete sich auf. »Schon gut. Gehen wir. Mum und Dad fragen sich bestimmt schon, wo wir abgeblieben sind«, sagte sie, und so schlenderten sie ernst den Anlegesteg zurück.
Als Tom in jener Nacht im Bett lag, wanderten seine Gedanken zu der Kindheit, auf die Isabel so neugierig gewesen war. Er hatte noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Doch als er seine Erinnerungen nun Revue passieren ließ, fühlte sich der scharfe Schmerz an, als führe man mit der Zunge über einen abgebrochenen Zahn. Er sah sich mit acht Jahren, wie er seinen Vater weinend am Ärmel zupfte. »Bitte! Bitte, lass sie zurückkommen. Bitte, Daddy. Ich habe sie so lieb!« Aber sein Vater hatte seine Hand weggewischt wie einen Schmutzfleck. »Du wirst sie in diesem Haus nicht mehr erwähnen. Hast du verstanden, Sohn?«
Mit diesen Worten stolzierte sein Vater aus dem Zimmer. Toms Bruder Cecil, fünf Jahre älter und damals ein gutes Stück größer, verpasste ihm eine Kopfnuss. »Ich habe dich gewarnt, du Trottel. Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht von ihr sprechen.« Er folgte seinem Vater mit den gleichen wichtigtuerischen Schritten und ließ den kleinen Jungen mitten im Wohnzimmer stehen. Er hatte ein Spitzentaschentuch herausgeholt, das noch nach dem Parfüm seiner Mutter duftete, und es sich an die Wange gehalten, wobei er darauf achtete, dass es nicht mit seinen Tränen und seiner laufenden Nase in Berührung kam, denn er wollte es nicht benutzen, sondern den Duft und das Gefühl des Stoffs auf der Haut genießen.
Tom dachte an das gewaltige, leere Haus: an das Schweigen, das in jedem Raum in einer leicht unterschiedlichen Tonart dröhnte; an die nach Karbol riechende Küche, blitzsauber gehalten von einer langen Reihe von Haushälterinnen. Er erinnerte sich an den gefürchteten Geruch von Lux-Waschmittelflocken und seine Bestürzung, als er feststellen musste, dass eine Mrs. Soundso das Taschentuch gewaschen und gestärkt hatte. Sie hatte es in seiner Hosentasche entdeckt, es wie selbstverständlich in die Wäsche getan und damit den Duft seiner Mutter ausgelöscht. Das ganze Haus hatte er nach einer Ecke oder einem Schrank abgesucht, wo sich vielleicht ein Hauch dieses süßen Dufts gehalten hatte. Aber selbst in ihrem ehemaligen Schlafzimmer roch es nur nach Möbelpolitur und Mottenkugeln, als wäre ihr Geist endgültig ausgetrieben worden.
In der Teestube von Partageuse unternahm Isabel einen erneuten Anlauf.
»Ich habe nichts zu verbergen«, entgegnete Tom. »Ich halte es nur für Zeitverschwendung, in der Vergangenheit herumzuwühlen.«
»Und ich möchte nicht neugierig sein. Nur, dass Sie ein ganzes Leben hinter sich haben, eine Geschichte, und ich bin erst spät hinzugekommen. Ich
Weitere Kostenlose Bücher