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Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)

Titel: Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. L. Stedman
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ein anstrengender Vormittag gewesen, und nun gönnten sich die beiden Männer in den ersten schwachen Strahlen der Frühjahrssonne eine Flasche Bier.
    Wochenlang hatte Tom sich auf diesen Moment vorbereitet und sich überlegt, wie er das Thema anschneiden sollte, wenn das Schiff kam. Er räusperte sich. »Hast du je … etwas Böses getan, Ralph?«, begann er.
    Der alte Mann sah Tom zweifelnd an. »Was ist denn das für eine komische Frage?«
    Trotz aller Überlegungen hatte Tom sich ungeschickt ausgedrückt. »Ich meine … nun … wie man etwas geradebiegt, das man in den Sand gesetzt hat. Wie man es wiedergutmacht.« Er betrachtete den schwarzen Schwan auf dem Etikett der Bierflasche und nahm all seinen Mut zusammen. »Ich spreche von einer ernsten Angelegenheit.«
    Ralph trank einen Schluck Bier, senkte den Kopf und nickte langsam. »Was möchtest du mir denn sagen? Nicht, dass mich das etwas angeht. Ich will mich nicht einmischen.«
    Tom rührte sich nicht. Er ahnte, welche körperliche Erleichterung er verspüren würde, wenn er sich die Wahrheit über Lucy von der Seele redete. »Der Tod meines Vaters hat mich über alle meine Fehler im Leben nachdenken lassen und darüber, wie ich sie in Ordnung bringe, bevor ich sterbe.« Er wollte schon weitersprechen, doch das Bild, wie Isabel ihren tot geborenen Sohn badete, brachte ihn zum Verstummen.
    »Ich werde nie ihre Namen erfahren …« Er war überrascht, wie rasch die Lücke von anderen Gedanken und Schuldgefühlen gefüllt worden war.
    »Wessen Namen?«
    Tom zögerte. Er fühlte sich, als stünde er am Rande eines Abgrunds und überlege, ob er springen solle. Er trank einen Schluck Bier. »Die der Männer, die ich getötet habe.« Die Worte waren grausam und schonungslos.
    Ralph ließ sich mit seiner Antwort Zeit. »Nun, das tut man eben in einem gottverdammten Krieg. Man tötet, oder man wird getötet.«
    »Je mehr Zeit vergeht, desto wahnwitziger erscheint mir das, was ich getan habe.« Tom kam sich vor, als wäre er körperlich in jedem einzelnen Moment Vergangenheit gefangen und würde von einer Schraubzwinge zusammengepresst, die jede im Laufe der Jahre aufgestaute Empfindung, jeden schuldbewussten Gedanken in ihn hineindrückte. Er rang nach Atem. Ralph wartete wortlos ab.
    Plötzlich zitterte Tom am ganzen Leib und wandte sich zu Ralph um. »Herrgott, ich will doch nur das Richtige tun, Ralph! Sag mir, was das Richtige ist, verdammt! Ich … Ich halte das nicht mehr aus. Ich kann nicht mehr.« Als er die Flasche auf den Boden warf, zerschellte sie an einem Stein. Der Rest des Satzes ging in einem Aufschluchzen unter.
    Ralph legte den Arm um ihn. »Aber, aber, mein Junge. Immer mit der Ruhe. Ich bin schon ein bisschen länger auf der Welt als du und habe eine Menge gesehen. Richtig und falsch sind manchmal wie zwei Schlangen: so ineinander verwickelt, dass man sie erst voneinander unterscheiden kann, wenn man beide erschossen hat, und dann ist es zu spät.« Er bedachte Tom mit einem langen, wortlosen Blick. »Ich würde mich fragen, was es nützt, in alten Wunden herumzustochern. Du kannst nichts mehr rückgängig machen.« Die Worte waren frei von Vorwurf oder Feindseligkeit, versetzten Tom aber dennoch einen Stich. »Herrje, einen Mann den Krieg wieder und wieder kämpfen zu lassen, bis er es richtig hinkriegt, ist die beste Methode, ihn in den Wahnsinn zu treiben.« Ralph kratzte an einer Schwiele an seinem Finger. »Falls ich einen Sohn hätte, wäre ich stolz, wenn er sich nur halb so gut gemacht hätte wie du. Du bist ein anständiger Mensch, Tom. Und wegen deiner Frau und deiner Tochter ein Glückspilz. Kümmere dich um deine Familie. Der alte Herr da oben hat dir eine zweite Chance gegeben. Also nimmt er dir das, was war, offenbar nicht übel. Leb in der Gegenwart. Bring in Ordnung, was du heute ausbügeln kannst, und lass die Vergangenheit ruhen. Die ist Aufgabe der Engel oder des Teufels oder wer auch sonst dafür zuständig ist.«
    »Das Salz. Man wird das Salz einfach nicht los. Es zerfrisst alles wie ein Krebsgeschwür, wenn man nicht aufpasst.« Es war der Tag nach seinem Gespräch mit Ralph. Tom murmelte vor sich hin. Lucy saß neben ihm in der riesigen Laterne aus Glas, die die Leuchte umschloss, und fütterte ihre Stoffpuppe mit eingebildeten Süßigkeiten, während Tom die Bronzebeschläge polierte. Ihre blauen Augen blickten zu ihm auf.
    »Bist du auch der Dadda von Püppi?«, wollte sie wissen.
    Tom hielt inne. »Keine Ahnung.

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