Das Licht zwischen den Meeren: Roman (German Edition)
irregeleitete Weise. Plötzlich empfand er Wut auf seinen Vater, der so beiläufig davon ausgegangen war, dass er das Recht hatte, ihn von seiner Mutter zu trennen: im berechtigten Zorn zwar, aber dennoch so zerstörerisch.
Erst als er sah, dass ein kleiner Tropfen die Tinte zu winzigen Rinnsalen verlaufen ließ, bemerkte er, dass er weinte. »… und ehe Du nicht selbst Vater bist, wirst Du nicht verstehen, was diese Worte bedeuten …«
»Obwohl du ihn jahrelang nicht gesehen hast, war er dennoch dein Dad«, sagte Isabel neben ihm auf der Veranda. »Man hat nur einen Dad im Leben. Natürlich geht es dir nah, Liebling.«
Tom fragte sich, ob Isabel die Ironie ihrer Worte klar war.
»Komm, Luce, trink einen Schluck Kakao«, rief sie unvermittelt.
Das kleine Mädchen kam angelaufen und griff mit beiden Händen nach der Tasse. Anschließend wischte sie sich den Mund mit dem Unterarm, nicht mit der schmutzigen Hand, ab und gab die Tasse zurück. »Tata!«, jubelte sie. »Ich reite jetzt nach Pataterz und besuche Oma und Opa.« Mit diesen Worten rannte sie zurück zu ihrem Schaukelpferd.
Tom betrachtete das Medaillon in seiner Handfläche. »Jahrelang dachte ich, dass sie mich hasst, weil ich ihr Geheimnis verraten habe. Ich wusste nichts von dem Medaillon …« Er schob die Unterlippe hoch und verzog den Mund. »Dann wäre alles anders gewesen.«
»Mir ist klar, dass ich dazu nichts sagen kann. Ich wünschte nur, ich könnte … keine Ahnung … es dir erleichtern.«
»Mama, ich habe Hunger«, rief Lucy, als sie zurückkam.
»Kein Wunder, wenn du so viel herumtobst!«, erwiderte Isabel und nahm sie in die Arme. »Komm, komm und umarm Daddy ganz fest. Er ist heute traurig.« Und sie setzte das Kind auf seinen Schoß, damit sie ihn beide an sich drücken konnten.
»Lächle, Daddy«, sagte das kleine Mädchen. »So«, fügte sie mit einem breiten Grinsen hinzu.
Das Licht fiel in einem schrägen Winkel durch die Wolken und suchte Zuflucht vor dem Regen, der aus der Ferne heranzog. Lucy saß auf Toms Schultern und genoss strahlend den erhöhten Aussichtspunkt.
»Hier runter!«, rief sie und zeigte mit dem Finger nach links. Tom änderte den Kurs und trug sie das Feld hinunter. Eine der Ziegen hatte ein Loch in den provisorischen Zaun gebissen und war entkommen, und nun bestand Lucy darauf, beim Suchen zu helfen.
An der Bucht fehlte jede Spur von dem Tier. Aber weit konnte es ja nicht gekommen sein. »Wir suchen anderswo«, schlug Tom vor. Er stieg die Anhöhe wieder hinauf und drehte sich um die eigene Achse. »Wohin jetzt, Lulu? Entscheide du.«
»Da unten!« Wieder zeigte sie mit dem Finger auf die andere Seite der Insel. Sie gingen los.
»Wie viele Wörter kennst du, die klingen wie Ziege?«
»Fliege!«
»Richtig. Noch welche?«
»Fliege?«, wiederholte das Kind.
Tom lachte und kitzelte sie am Bauch. »Fliege, Ziege … und wenn wir schon beim Thema sind … schau, Luce, da unten am Strand.«
»Da ist sie! Komm, wir rennen hin, Dadda!«
»Besser nicht, Häschen. Wir wollen sie nicht verscheuchen. Also müssen wir ganz leise sein.«
Da Tom abgelenkt war, war ihm zunächst nicht klar, was sich das Tier als neue Weide ausgesucht hatte.
»Runter mit dir, Kleines.« Er hob Lucy über die Schultern und stellte sie ins Gras. »Sei brav und warte hier, während ich Flossie hole. Wenn ich ihr dieses Seil ans Halsband binde, kommt sie sicher mit. Ganz ruhig, Flossie. Mach jetzt keinen Ärger.«
Die Ziege blickte auf und trottete ein paar Schritte weiter.
»Genug jetzt. Bleib stehen.« Tom packte sie schnell am Halsband und befestigte das Seil. »So. Das wäre geschafft. Und jetzt, Lulu …«
Als er sich umdrehte, begannen seine Arme zu prickeln. Im nächsten Moment wurde ihm bewusst, was der Grund dafür war. Lucy saß auf einem kleinen Hügel, wo das Gras dichter wuchs als auf dem flachen Boden darum herum. Für gewöhnlich mied Tom diesen Teil der Insel, der ihm stets düster und bedrückend erschien, ganz gleich wie sonnig der Tag auch sein mochte.
»Schau, ich habe einen Sitzplatz gefunden, Dadda«, verkündete Lucy und strahlte.
»Lucy! Komm sofort da runter!«, rief Tom, ohne nachzudenken.
Lucy verzog das Gesicht und brach vor Schreck in Tränen aus. Sie war noch nie zuvor angeschrien worden und weinte deshalb bitterlich.
Rasch hob Tom sie hoch. »Entschuldige, Lulu, ich wollte dir keine Angst machen«, sagte er und schämte sich wegen seiner heftigen Reaktion. Um sein Entsetzen zu
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