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Das Liebesleben der Hyäne

Das Liebesleben der Hyäne

Titel: Das Liebesleben der Hyäne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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mir zu haben. Wahrscheinlich spürte es meine Verwirrung, meine Feigheit. Ich kam näher und näher. Das Tier blieb stehen. Es hatte große braune Augen, schöner als die Augen aller Frauen, die ich je gekannt hatte. Ich konnte nicht verstehen, warum es nicht vor mir ausriß. Ich war jetzt auf wenige Schritte heran. Plötzlich machte es einen Satz zur Seite und rannte auf den nächsten Waldrand zu.
    Ich stieg über das Gatter, ging auf dem Feldweg weiter, und nach einer Weile hörte ich Wasser plätschern. Wasser war nicht zu verachten. Ein Mensch konnte nicht lange überleben ohne Wasser. Ich verließ den Weg und ging auf das Geräusch zu. Ich stieg eine kleine Anhöhe hinauf, und als ich oben war, sah ich es. Es war ein kleiner Stausee, der aus mehreren Betonröhren mit Wasser gespeist wurde. Ich setzte mich an den Rand des Wassers, zog Schuhe und Strümpfe aus und hielt die Füße hinein. Ich schaufelte mir mit beiden Händen einiges über den Kopf, und dann trank ich aus der hohlen Hand, in kleinen Schlucken, wie ich es bei Profis in Filmen gesehen hatte.
    Als ich mich einigermaßen erholt hatte, ging ich auf ein betoniertes Stück Damm hinaus und entdeckte einen Pfosten mit einem großen Blechkasten dran. Der Kasten war mit einem Vorhängeschloß gesichert. Ah, da war bestimmt ein Telefon drin! Ich konnte um Hilfe telefonieren! »Hilfe! Ich hab mich verirrt! Was? Nein, ich hab keine Ahnung, wo ich bin …!«
    Ich besorgte mir einen großen Stein und begann, auf das Vorhängeschloß einzuschlagen. Es gab nicht nach. Teufel nochmal, was hätte Jack London in so einem Fall getan? Oder Cervantes? Jean Genet?
    Ich schlug weiter auf das Schloß ein. Manchmal schlug ich daneben. Meine Fingerknöchel platzten auf, Blut quoll heraus. Ich nahm meine letzte Kraft zusammen und brachte noch einmal einen wuchtigen Hieb an. Das Schloß sprang auf. Ich machte es ab und öffnete den Kasten. Er enthielt kein Telefon, sondern nur Drähte und ein paar Schalter. Ich griff nach einem der Schalter, kam an einen blanken Draht und bekam einen Schlag.
    Ich drehte den Schalter und hörte ein gewaltiges Rauschen. Unter mir, aus drei oder vier Öffnungen im Staudamm, schoß in schäumenden Wogen das Wasser heraus. Ich legte den nächsten Schalter um. Weitere Öffnungen ließen Tonnen von Wasser frei. Ich probierte auch noch den dritten Schalter, und jetzt lief der ganze Stausee aus. Ich stand da und sah mir die Bescherung an. Vielleicht konnte ich die Gegend überfluten, und die Cowboys würden hoch zu Roß oder mit geländegängigen Jeeps ankommen und mich retten? Nein, das war vielleicht doch nicht das Richtige …

    GELEGENHEITSDICHTER HENRY CHINASKI ÜBERSCHWEMMT HALB UTAH, UM SEINEN VERWEICHLICHTEN HOLLYWOOD-ARSCH zu RETTEN.
    Ich brachte die Schalter wieder auf Ausgangsstellung, machte den Kasten zu und hängte das kaputte Schloß dran. Dann ging ich zurück auf den Weg, folgte ihm ein Stück und kam auf eine Schotterstraße. Schon besser. Ich ging die Straße lang, und plötzlich kam mir ein kleines Mädchen entgegen. Die Kleine war etwa fünf Jahre alt, trug ein blaues Kleidchen und hatte weiße Schuhe an den Füßen. Sie blieb stehen und sah mir ängstlich entgegen.
    »Lauf nicht weg, Kleine. Ich tu dir nichts! Ich hab mich verirrt! Wo sind deine Eltern? Komm schon, sag mir doch, wo deine Eltern sind …«
    Sie zeigte nach hinten und lief los. Ich folgte ihr. Jetzt sah ich einen Wohnwagen mit einem Auto davor. »Hey!« schrie ich. »Ich hab mich verirrt! Gott, bin ich froh, daß ich Sie hier finde! …«
    Jemand kam um den Wohnwagen herum. Es war Lydia. Sie hatte rote Lockenwickler in den Haaren. »Na dann komm mal, du Großstadtpflanze«, sagte sie, »und laß dich nach Hause führen.«
    »Baby! Bin ich vielleicht froh, dich zu sehen! Komm her, gib mir einen Kuß!«
    »Nein. Komm schon, hier geht’s lang.« Sie legte einen ziemlichen Trab vor. Ich kam kaum mit.
    »Ich hab die Leute da gefragt, ob sie einen Städter gesehen hätten«, rief sie über die Schulter zurück. »Sie sagten, sie hätten keinen gesehen.«
    »Lydia, ich liebe dich!«
    »Jaja, nun komm endlich! Nicht so lahm!«
    »Warte, Lydia! Warte doch!«
    Sie sprang über einen Stacheldrahtzaun. Ich war nicht so behende. Ich blieb drin hängen. Ich kam nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Wie eine Kuh im Dickicht.
    »Lydia!«
    Sie kam zurück und zerrte an dem Stacheldraht herum.
    »Ich bin dir nachgegangen. Ich hab dein rotes Notizbuch gefunden. Du hast dich

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