Das Liebesleben der Hyäne
zu solchen Häusern gehörten.
»Besser, du läßt uns zu Fuß raufgehen«, meinte Gertrud.
»Sicher«, sagte ich.
Sie stiegen aus. Ich wendete, kam zurück. Sie standen vor der Einfahrt, ihre Segeltuchtaschen über der Schulter, und winkten mir. Ich winkte zurück. Dann fuhr ich davon. Ich machte den Gang raus und ließ den VW talwärts rollen.
87
»The Lancer«, ein bekannter Nachtklub am Hollywood Boulevard, wollte mich für zwei Abende buchen. Ich stimmte zu. Vor mir sollte an beiden Abenden eine Rockgruppe auftreten, die sich »The Big Rape« nannte. Ich geriet allmählich in die Fänge des Showbusineß.
Ich hatte einige Freikarten, also rief ich Tammie an und fragte sie, ob sie mit ihrem Bruder kommen wolle. Sie wollte. Ich nahm die beiden am ersten Abend mit und ließ Tammies Getränke bei mir auf die Rechnung setzen. Wir saßen an der Bar und warteten, bis meine Nummer an der Reihe war. Die Nummer, die Tammie aufs Tapet brachte, hatte große Ähnlichkeit mit meiner – sie trank sich prompt einen an, ging vor der Bar auf und ab und nervte die Leute.
Als es Zeit für meinen Auftritt wurde, war Tammie bereits so voll, daß sie quer über die Tische fiel. Ich suchte ihren Bruder und sagte zu ihm: »Menschenskind, sei so gut und schaff sie hier raus, ja?«
Er bugsierte sie hinaus in die Nacht. Doch ich war auch schon reichlich benebelt, und irgendwann vergaß ich, daß ich ihn gebeten hatte, sie rauszuschaffen.
Ich gab keine gute Lesung. Das Publikum war ganz auf Rock eingestellt und ging nicht recht mit. Aber auch ich verpatzte einiges. Manchmal hatte ich Glück mit so einem Publikum, aber an diesem Abend lief es nicht. Ich war nicht bei der Sache. Es hatte wohl auch damit zu tun, daß ich glaubte, Tammie habe sich von irgendeinem Kerl abschleppen lassen.
Als ich nach Hause kam, rief ich bei ihr an. Ihre Mutter meldete sich. »Deine Tochter«, sagte ich, »ist das LETZTE!«
»Hank, ich will so etwas nicht von dir hören.«
Sie legte auf.
Am zweiten Abend ging ich allein. Ich setzte mich in der Nähe der Bar an einen Tisch und trank. Eine ältere vornehme Dame kam an meinen Tisch und stellte sich vor. Sie war Englischlehrerin und hatte eine ihrer Schülerinnen dabei, eine schnuckelige Kleine namens Nancy Freeze. Nancy schien vor lauter Hitze fast aus den Nähten zu platzen. Sie wollten wissen, ob ich so nett sei, ihnen für die nächste Literaturstunde einige Fragen zu beantworten.
»Nur zu.«
»Welchen Autor haben Sie am liebsten gelesen?«
»Fante.«
»Wen?«
»John Fante. F-a-n-t-e. ›Ask the Dust‹. ›Wait Until Spring, Bandini‹.«
»Wo können wir seine Bücher finden?«
»Ich hab sie in der Stadtbibliothek gefunden. Ecke Fifth und Olive, nicht?«
»Was hat Ihnen an ihm gefallen?«
»Er geht voll aus sich raus. Ein sehr tapferer Mann.«
»Wen noch?«
»Céline.«
»Warum?«
»Sie rissen ihm die Eingeweide raus, und er hat nur gelacht. Er hat sie sogar selbst noch zum Lachen gebracht. Ein sehr tapferer Mann.«
»Sie halten viel von Tapferkeit?«
»Ich seh sie gern. Bei Tieren. Bei Menschen. Sogar bei Reptilien.«
»Warum?«
»Warum? Weil es mir ein gutes Gefühl gibt. Stil bewahren, auch wenn die Chancen gleich Null sind.«
»Hemingway?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Zu ernst. Zu verbissen. Ein guter Schreiber, der saubere Sätze bauen konnte. Aber für ihn war das Leben immer nur der totale Krieg. Er hat sich nie entkrampft. Er hat nie getanzt.«
Sie klappten ihre Notizbücher zu und verschwanden. Zu dumm. Ich hatte ihnen eigentlich sagen wollen, meine wirklichen Vorbilder seien Gable, Cagney, Bogart und Errol Flynn.
Ehe ich mich’s versah, hatte ich neue Gesellschaft. Drei attraktive Ladies. Sara, Cassie und Debra. Sara war 32, ein Klasseweib mit Stil und Herz. Sie hatte langes, glattes rotblondes Haar und unternehmungslustige Augen, die leicht irre glitzerten. Außerdem leistete sie ein Übersoll an Mitgefühl, das sehr echt war und sie offensichtlich viel Kraft kostete. Debra war Jüdin, hatte große braune Augen und einen generösen Mund, der dick mit einer blutroten Schicht Lippenstift bemalt war. Ihr Mund glitzerte mich an und lockte. Ich schätzte sie zwischen 30 und 35, und sie erinnerte mich daran, wie meine Mutter 1935 ausgesehen hatte, nur daß meine Mutter damals wesentlich schöner gewesen war. Cassie war eine hochgewachsene Blondine, sehr jung, teuer und modisch gekleidet, hip, ›in‹, nervös, sah blendend aus. Sie saß mir am nächsten, drückte mir
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