Das Liebesspiel
den Flur tastete, sah den Lichtspalt in der Tür, hörte ihre Schritte auf dem Läufer; sie krabbelte zwischen uns ins Bett, drückte sich an mich, und ich hielt sie fest, ihren kleinen, weichen, süßen, warmen Körper wie den Himmel an mich gepresst. Am nächsten Morgen ließ ich sie schlafen, der kleine Wurm allein in dem großen Bett. Ich ging nach unten, um das Frühstück zu machen und Alex zur Schule zu schicken. Ich schmierte Toast, schenkte Saft ein, als sei es ein Morgen wie jeder andere, dann setzte ich mich mit Alex draußen auf die Treppe und wartete auf den Bus. Es war Herbst. Anfang Oktober. Ein wunderschöner Herbsttag – diese Wehmut im Licht –, und der Wind war sanft, das trockene Scharren der Blätter auf der Straße, das Geräusch eines Traktors vom Hof der Wales nebenan, die Luft erfüllt vom Geruch gepflügter Erde, der leichtere Duft von Äpfeln. Alex war schweigsam. Er bohrte mit der Schuhspitze in der Erde vor der Treppe. Ich sah, dass der Schulbus über die Anhöhe kam, und spürte, wie sich etwas in meiner Brust zusammenzog. Ich wollte ihn nicht gehen lassen. Nein, nicht an jenem Morgen. Ich gab ihm einen Abschiedskuss und er ließ mich gewähren, als wisse er Bescheid. Ich zog seinen Mantel gerade, glättete ihn, aber er schüttelte mich ab und ging die Auffahrt hinunter zum Bus. Ich sah ihm nach. Erst neun Jahre und schon hatte er sich von mir gelöst.
An jenem Morgen ging ich Weintrauben pflücken. Nahm Marne mit hinunter. Es war genug andere Hausarbeit zu erledigen, doch der Geruch der Trauben, dieser dunkle Duft, war schwer und nah. Wir zogen sie von den Reben, pflückten jede einzelne, und als wir fertig waren, hatten wir fleckige Hände, Marnes kleines Mündchen und die Zähne waren vom Saft violett verfärbt.
Der Himmel weinte. Den ganzen Herbst lang, das weiß ich noch. Der Geschmack von Asche in meinem Hals. Wolkenschatten, die übers Gras huschten.
Ich sah sie vorbeifahren. Ada. Fast jeden Tag, so schien es irgendwann, hatte sie einen Grund, an unserem Haus vorbeizufahren, diesen speziellen Abschnitt der Straße bis zur Kurve zu nehmen. Ich wusste, sie suchte nach Green, suchte den Weg zurück zu dem Moment, bevor sich alles änderte. Jeden Tag fuhr sie an der Stelle vorbei, ob ihr Ziel auf dem Weg lag oder nicht, wo auch immer sie hinfahren mochte, wenn sie überhaupt ein Ziel hatte – sich die Nägel machen lassen, Vivienne oben an der Blossom Road besuchen oder einkaufen im Star Store im Zentrum. Ich sah sie vorbeifahren, das Fenster geöffnet, ihre schwarzen Korkenzieherlocken stahlen sich aus dem um den Kopf geschlungenen Tuch, dazu eine dunkle Sonnenbrille und ihre lange Hand am Lenkrad, wild entschlossen, so schien es, diese Strecke zu fahren, niemand je bei ihr im Wagen. Nur Ada allein. Hastig. Den Blick auf die Straße gerichtet, als könnte sie sie niederstarren. Tag um Tag. Setzte das Messer ans Seil.
Irgendwann erkannte ich ihren Wagen am Geräusch: den Motor und die Art, wie sie die Anhöhe nahm, ihr Fuß auf dem Gas, wenn sie über den Anstieg hinter der Schlucht fuhr.
Einmal in jenem Herbst traf ich sie. Auf dem Postamt. Sie war an ihrem Fach, hantierte mit dem winzigen Schloss herum, bis es sich schließlich öffnen ließ, sie die Briefe herausschaufelte, sich umdrehte und kurz innehielt, als sie mich erblickte. Ich spürte die Krümmung der Luft um sie herum und sie schaute mich an, ich schaute zurück, der Raum zwischen uns gekrümmt, als würde die Luft nachgeben, und ich sah in ihrem Gesicht, dass wir beide eigentlich nur ein Spiegel für die jeweils andere waren.
Man lässt es nicht hinter sich, sagten mir ihre Augen an jenem Tag, auch wenn sie gewusst haben musste, dass ich das schon selbst begriffen hatte. Natürlich macht man weiter, aber man lässt es nicht hinter sich. Man hört nicht auf, jemanden zu lieben, nur weil er nicht mehr da ist. Man hört nicht damit auf, nur der Teil von dir, der aufgehört hat zu sein, der Teil von dir, der außerhalb deines Körpers dein Herz war, aber nicht mehr ist, dieser Teil blieb hängen in dem Damals, das man verloren hat, hielt inne, drehte sich um, sah zurück, wie Lots Frau, die auf dem Hügel zur Salzsäule erstarrte, in der Rückschau auf die Stunde des eigenen Lebens, als man Sonnenlicht war. Damals wusste man es nicht. Wie hätte man es auch wissen sollen?
Ada nestelt an ihren Nägeln, dann ein kleines glucksendes Geräusch, ihre Zunge schnalzt gegen den Gaumen. »Mach schon, Janie«, sagt sie
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