Das Lied der alten Steine
inne. Louisa hatte es geschafft. Sie hatte Anhotep beschworen, sie vor Lord Carstairs zu beschützen. Vielleicht hatte Serena Recht.
Vielleicht konnte sie tatsächlich Kontakt zu ihm aufnehmen.
Andererseits… Sie schauderte. »Ich fürchte, du verlangst zu viel. Wenn ich auch nur den leisesten Schatten von dem Typen sehe, bekomme ich weiche Knie.« Sie unterbrach sich. »Ich kann nicht glauben, dass wir dieses Gespräch führen!« Sie beugte sich vor und stützte den Kopf in die Hände. »Ich will die Flasche loswerden, Serena. Ich werde nicht damit fertig. Das hier sollte ein erholsamer Urlaub werden, stattdessen wird er zum Albtraum!«
Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann beugte Serena sich vor und berührte ihren Arm. »Soll ich mich für dich darum kümmern?«
»Du?« Anna sah müde auf.
Serena nickte. »Ich nehme sie mit in meine Kabine. Ich könnte Gebete darüber sprechen, eine Anrufung und Entlassung vollziehen und etwas Weihrauch verbrennen.«
»Doch wohl nicht, wenn Charley dabei ist!«
»Nein, nicht wenn Charley dabei ist. Lass es mich tun, Anna.
Ich weiß, wovon ich rede.« In ihrer Stimme lag etwas Dringliches.
Anna lehnte sich zurück und schloss müde die Augen.
»Warum habe ich sie bloß hierher gebracht? Es war so sinnlos.
Nichts als eine törichte, romantische Idee.«
»Das konntest du doch nicht wissen. Außerdem hattest du wahrscheinlich gar keine andere Wahl. Vielleicht hat Anhotep dir die Idee in den Kopf gesetzt.«
Anna schauderte. »Danke. Er saugt also nicht nur meine Energie auf, er sitzt auch noch in meinem Kopf!«
Serena stand auf. »Lass es uns jetzt tun, solange Charley und die anderen hier sind. Dann können wir sie unbemerkt holen, in meine Kabine bringen und die ersten Gebete sprechen, bevor irgendjemand Wind davon bekommt.« Beide wussten, dass mit
›irgendjemand‹ Andy gemeint war. »Den Rest mache ich später, wenn Charley ihren Rausch ausschläft.« Sie warf einen Blick über die Schulter zu Charley, deren Gekicher immer schriller wurde.
Anna nickte. Sie erhob sich und folgte Serena aus dem Raum.
Andy sah, wie sie durch die Schwingtür verschwanden, und runzelte die Stirn.
Anna fischte ihren Kabinenschlüssel aus der Tasche und schloss auf. Dann stutzte sie. »Jemand ist hier gewesen.«
Sie trat vorsichtig in das kleine Zimmer und blickte sich um.
Das Bett war gemacht worden und auf der Tagesdecke lagen saubere Handtücher, aber das geschah jeden Morgen. Doch dies hier und jetzt war anders. Als sie sich umschaute, richteten, sich die Haare auf ihren Unterarmen auf. »Ist Anhotep da?«, flüsterte sie.
Sie ging zur Badezimmertür und stieß sie auf. Das Bad war leer.
Serena war ihr hineingefolgt. Sie blickte ebenfalls umher und schüttelte dann den Kopf. »Ich kann Anhotep nicht spüren. Ich glaube nicht, dass er da ist.«
»Was ist es denn dann?« Anna ging zum Toilettentisch und zog die Schublade auf. Das Flaschen lag dort, wo sie es hingelegt hatte, noch immer in den Schal gewickelt. Sie nahm es zögernd heraus und reichte es Serena. »Ganz dein.«
Serena nickte. »Komm mit mir in meine Kabine. Wir wollen sichergehen, dass Anhotep mitkommt. Was hast du?«
Anna starrte auf ihren Nachttisch. Mit einem verzweifelten Aufstöhnen sprang sie vor und öffnete die Schublade. Sie war leer. Das Tagebuch war fort.
10
Ich habe mich zusammengesetzt und wiederhergestellt; Ich habe meine Jugend zurückgewonnen;
Ich, Osiris, Herr der Ewigkeit…
In der Lehmziegelbütte am Dorfrand fegt eine Frau den Boden, um des Sandes Herr zu werden. Unter der Schlafmatte ihres Sohnes findet sie ein Stück Stoff und darin ein Fläschchen, das immer noch vom Wüstensand bedeckt ist, aus dem es kam. Einen Augenblick hält sie es in der Hand, neugierig, aber auch ärgerlich darüber, dass er es versteckt hat und für sich allein behalten wollte. Sie fühlt, wie es vibriert und heiß wird, und auf einmal fröstelt sie. Sie wickelt es wieder ein und versteckt es unter der Matte.
Als er vom Feld zurückkommt, ist er glücklich. Er hat eine Entscheidung getroffen. Die Flasche ist wertlos, so hat sein Vater gesagt, darum wird er sie seiner Mutter schenken und für seine Großzügigkeit Segenswünsche von ihr ernten. Er wickelt sie aus und nimmt sie mit zum Fluss, wo er sie im trüben Wasser am Rand der Felder wäscht. Nun glänzt das Glas und ist strahlend sauber, aber sein Alter ist in die Unvollkommenheiten seiner Oberfläche eingeschrieben.
Seine Mutter nimmt das Geschenk
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