Das Lied der alten Steine
Klappstaffelei mit einem großen geöffneten Skizzenblock, auf dem das Ufer draußen vor dem Fenster dargestellt war. Ringsum an den Wänden hingen Zeichnungen und Gemälde. Auf dem Toilettentisch und auf dem Nachtschränkchen lagen Farbkästen, Kohle-und Bleistifte. Die Badezimmertür stand offen, sodass man einen noch feuchten Entwurf sah, der zum Trocknen über dem Duschbecken hing.
Sie blickte sich staunend um und trat einen Schritt näher. Der Raum wirkte wie eine Schatzhöhle voller Farben. Einen Augenblick vergaß sie, warum sie gekommen war. Wann hatte er das alles gemalt? Wo nahm er die Zeit her? Er musste in jeder freien Sekunde zwischen ihren Landausflügen und auch nachts gemalt haben.
Sie ging noch einen Schritt weiter und die Tür fiel hinter ihr zu.
Die Bilder waren wunderschön. Die Farben barsten geradezu vor Lebendigkeit. Sie stand vor der Staffelei und betrachtete das geschäftige Flussufer mit seiner Reihe großer Vergnügungs-dampfer, dazwischen ihr eigener kleiner Raddampfer neben einem riesigen, übertrieben geschmückten schwimmenden Hotel.
Es dauerte einige Minuten, bevor ihr wieder einfiel, wonach sie eigentlich suchte, und sie ihre Aufmerksamkeit von seinen Bildern ab-und seinen persönlichen Habseligkeiten zuwandte.
Die Schubladen unter dem Toilettentisch enthielten ein Durcheinander von Hemden, einigen Pullovern und Unterwäsche. In der Tasche daneben lagen weitere Malstifte.
Sie öffnete den Schrank. Ein paar Hosen, Jeans und ein Jackett.
In der Schublade des Nachttischs befanden sich eine Taschenlampe, Notizzettel, Postkarten und ein Füllfederhalter.
Das war alles. Zwei Taschenbücher, beide ungelesen, soweit sie sehen konnte, und ein stark benutzter Reiseführer von Ägypten, sowie sein Rasierzeug und sonstiger Toilettenkram auf dem Glasbord in der Dusche vervollständigten seinen Besitz.
Sie zog die Tagesdecke zurück und suchte unter den Kissen, dann fuhr sie mit der Hand unter der Matratze entlang. Nichts.
Seufzend stand sie wieder auf und strich sich das Haar aus dem Gesicht.
Wo konnte er es sonst noch versteckt haben? Sie warf noch einmal einen Blick in den Raum, da ließ sie ein leises Geräusch von der Tür herumfahren. Toby stand in der Tür, eine Hand gegen den Türrahmen gestützt, die andere in der Jeanstasche, und beobachtete sie. Er sah aus, als stünde er schon eine Weile da. Sein Gesicht war hart, die Augen kalt.
»Sind Sie fertig mit Ihrer Durchsuchung?«
»Toby!« Die Worte erstarben ihr in der Kehle, als er in die Kabine trat, die Tür schloss und den Riegel vorschob.
»Warum haben Sie abgeschlossen?« Ihr Mund wurde trocken.
»Weil ich mit Ihnen reden will, ohne dass Watson seine Nase da hineinsteckt. Sie haben vermutlich einen Grund für Ihr Hiersein?«
Sie zögerte. Eine Welle von Panik überkam sie. »Ich habe Sie gesucht. Ich wollte Ihnen für den Ausflug danken. Ich habe mich gefragt, wo Sie sind.«
»Und Sie dachten, ich hätte mich vielleicht in einer Schublade im Toilettentisch versteckt.« Er zog sarkastisch eine Augenbraue hoch. »Oder möglicherweise unter der Matratze.«
Sie riss sich zusammen. »Toby, verzeihen Sie mir. Ich wollte Sie treffen. Ich habe geklopft. Die Tür ging auf und da habe ich die Bilder gesehen und…« Sie hob hilflos die Schultern. »Ich bin reingekommen, um sie anzuschauen.«
»Und Sie dachten, Sie könnten bei der Gelegenheit schnell mal ein bisschen herumschnüffeln.« Immer noch klang seine Stimme hart.
»Ich habe nicht geschnüffelt!« Sie war beleidigt. »Wenn Sie es genau wissen wollen, ich habe nach meinem Tagebuch gesucht.«
»Nach Ihrem Tagebuch?«, wiederholte er.
»Mein Tagebuch ist aus der Nachttischschublade verschwunden. Sie waren der Einzige, der wusste, dass es dort lag.«
»Also haben Sie sich gedacht, Sie suchen mal in der Schublade neben meinem Bett! Mit anderen Worten, Sie haben angenommen, ich hätte es gestohlen!«, sagte er ungläubig.
»Nein.« Ihre Antwort kam zu schnell, das wusste sie. »Nein, das habe ich nicht angenommen.«
»Wer denn dann?«, fragte er leise. »Lassen Sie mich raten. Es war Watson.«
Sie zuckte die Achseln.
»Und Sie haben ihm geglaubt.« Er verschränkte die Arme.
»Es war eine Möglichkeit«, gab sie zaghaft zurück. »Sie hätten es ja geliehen haben können, um es zu lesen.«
»Ohne Sie zu fragen?« Seine Stimme klang mehr als verärgert.
»Ja! Was hätte ich denn sonst denken sollen? Wir beide haben es doch zusammen angeschaut. Wir haben darüber
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