Das Lied der alten Steine
dem Tagebuch in ihrem Schoß, schloss es und legte es beiseite. »Vielleicht. Andererseits gibt es immer noch Kobras in Ägypten.«
»Aber in der Kabine eines Nilkreuzers? In der Schublade einer Kabine auf einem Vergnügungsschiff?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich gebe zu, das wäre schon ein sehr seltsamer Zufall.«
Sie saßen eine Weile schweigend und blickten auf den Fluss.
Anna durchbrach als Erste die Stille. »Die Tränen der Isis.
Klingt romantisch, nicht wahr? Ich glaube, es ist das erste Mal, dass wir einen Anhaltspunkt dafür haben, was wirklich in der Flasche ist. Ich habe sie natürlich gegen das Licht gehalten, aber das Glas ist vollkommen undurchsichtig. Man kann nicht mal sehen, ob überhaupt was darin ist.«
»Wie stark glauben Sie an die Wissenschaft?« Toby lehnte sich zurück und beschirmte seine Augen mit einem Arm. Die Schatten der Palmwedel spielten über sein Gesicht. »Sie könnten sie zum British Museum bringen, wenn Sie wieder in London sind, denen die ganze Geschichte erzählen und sie bitten, sie zu entsiegeln. Die können es unter sterilen Bedingungen machen und herausfinden, ob irgendwas drin ist.«
Anna blickte träumerisch in die Ferne. »Wissenschaft gegen Romantik. Das scheint irgendwie ein sehr modernes Problem zu sein. Wollen wir noch weiterlesen?«
Toby sah kurz auf seine Uhr und schüttelte den Kopf. »Wir haben Ibrahim versprochen, dass wir vor Sonnenuntergang zurückkommen, damit er für uns kochen kann und dann frei hat.
Lesen können wir auch später noch.« Er zog die Stirn in Falten.
»Ibrahim weiß, dass die Kobra Magie ist, oder? Erinnern Sie sich, wie er reagiert hat, als wir ihn fragten, ob die Flasche im Safe ist. Sollen wir ihm nicht erzählen, wie sie hierher gekommen ist?«
Anna nickte. »Er ist sehr weise. Ich glaube, er weiß eine ganze Menge über diese Dinge. Viel mehr, als er zu erkennen gibt.«
Sie fröstelte. »Ich weiß nicht, ob es die Sache besser oder schlimmer macht – unser Wissen, dass die Kobra von einem Okkultisten aus dem 19. Jahrhundert da hineingetan wurde statt von Priestern vor ein paar tausend Jahren.«
»Ich glaube, das ist eher eine technische Frage, die uns in diesem Stadium nicht so sehr zu interessieren braucht.« Toby grinste, dann setzte er sich auf. »Ägypten ist ein magischer Ort.
Die Vergangenheit ist hier überall gegenwärtig. Jemand, der sich auskennt, kann wahrscheinlich ohne allzu große Mühe Dinge aus der Vergangenheit heraufbeschwören, seien es Priester oder Schlangen. Sie haben erzählt, dass es Serena gestern Abend fast geglückt wäre.«
Anna nickte. Sie zog ihre Knie unter das Kinn und umschlang sie nachdenklich, den Blick auf die fernen, kaffeefarbenen Hügel gerichtet.
»Kommen Sie.« Toby stand auf und reichte ihr die Hand. »Wir wollen ein Taxi rufen und nach Hause fahren.«
Sie lachte. Die Leichtigkeit, mit der sie hier ein Boot heran-winken konnten, amüsierte sie. Sie sah zu, wie Toby ihre Sachen zusammenpackte und in seinem Rucksack verstaute. »Sie glauben also, dass Serena ein echtes Medium ist?«
»Ja.« Er machte eine Pause und sah sie fragend an. »Sie etwa nicht?«
Sie nickte. »Doch. Sie plant noch ein zweites Ritual. In Philae.
Im Tempel der Isis. Aber sie hat geradezu Angst vor Andy.«
»Wie wir alle!« Plötzlich sah er grimmig aus. »In ihrem Fall deshalb, weil er sie tyrannisiert. Meiner Meinung nach geht da etwas Freudianisches vor, denn Charley wohnt bei ihr und respektiert und mag sie offensichtlich und bestimmt hat Serena Charley mehr als einmal erklärt, dass sie Andy für einen Idioten hält. Anna, was wollen Sie wegen des Tagebuchs unternehmen?
Wenn er zurückkommt.«
Sie nahm ihren Sonnenhut ab und fächelte sich damit Luft zu.
»Ich weiß es nicht. Es wäre blöd, zu viel Aufhebens darum zu machen. Ich will, dass die Polizei aus dem Spiel bleibt. Gott weiß, was sonst passieren würde. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass es unklug wäre, die Sache aufzubauschen. Er würde es nur abstreiten und sagen, ich hätte es ihm geliehen oder so. Und es wäre ziemlich schwierig, das Gegenteil zu beweisen. Ich werde es wegschließen oder es immer bei mir tragen und es wahrscheinlich dabei bewenden lassen.«
Er starrte sie an. »Anna, er hat versucht, etwas zu stehlen, das vielleicht Tausende von Pfund wert ist.«
»Ich hab’s zurück«, sagte sie bestimmt. »Und er muss mit der Tatsache leben, dass Sie und ich und Serena wissen, dass er ein Dieb ist. Und er weiß nicht, wem
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