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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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der Morgendämmerung döste er, dann wachte er plötzlich auf. Der Sand um sie herum seufzte und zischte unter dem leisen Aufruhr des Windes. Er öffnete die Augen und starrte in die Dunkelheit. Im Osten, wo die Dämmerung einsetzen würde, war bereits ein erster grauer Schatten zu erkennen.
    Er hörte eine andere seufzende Bewegung im Sand und lauschte angespannt. Da war jemand oder etwas, nah bei ihren Sachen. Ein Schakal, der von dem Nahrungsgeruch angezogen worden war, obwohl Hassan das Essen sorgfältig eingepackt hatte, oder ein Junge aus dem Dorf, der Böses im Schilde führte.
    Vorsichtig zog er seinen Arm unter Louisas Schulter heraus.
    Sie bewegte sich, ihre Augenlider zuckten.
    »Dämmert es schon?« Ihre Stimme war sanft und rau, ihr nackter warmer Körper lag entspannt unter der Decke.
    »Bald, meine Liebste«, flüsterte er. »Bleib ganz ruhig liegen.«
    Er schlüpfte unter der Decke hervor, stand auf und sah sich in der Dunkelheit um, während er sich fröstelnd ankleidete. Die Luft roch scharf und kalt.
    Nichts bewegte sich jetzt. Die Wüste war still. Im Osten wurde der graue Streifen heller. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Louisa sich aufsetzte und zum Ausgang des Zeltes kroch. Er sah nicht viel mehr als den schattenhaften Umriss von ihr. Sie rieb sich die Augen wie ein Kind und das Haar wogte ihr über die Schultern. Die Sterne verloren plötzlich an Leuchtkraft.
    Er ging zwei Schritte auf die Körbe zu, dann hielt er wieder inne. Irgendein sechster Sinn sagte ihm, dass jemand oder etwas da war dort hinter den Säulen. Er sah sich nach einer Waffe um.
    Überall in der Ruine lagen Steinhaufen herum, er bückte sich vorsichtig und nahm ein paar Steine auf, die sich beruhigend schwer in seinen Händen anfühlten.
    Louisa strengte ihre Augen an. Es war geringfügig heller geworden, aber sie konnte ihn nicht mehr sehen. Wo sie einen Augenblick zuvor noch klar seine Silhouette erkannt hatte, war nichts mehr. Sie wollte ihm etwas zurufen, doch irgendeine Ahnung warnte sie davor. Behutsam tastete sie nach ihrem Kleid, zog es über den Kopf, wobei sie jedes Geräusch vermied, kniete sich dann hin und ließ es über ihre Hüften gleiten.
    Etwas bewegte sich plötzlich auf den Essenskorb zu, sie hielt den Atem an und rührte sich in der Stille nicht.
    Ein plötzlicher Schrei Hassans brachte sie auf die Füße, sie sah eine vorstoßende Bewegung bei der äußersten Säule, dann hörte sie ein Ächzen und das Grunzen von kämpfenden Männern.
    Nach kurzem Zögern bückte sie sich, klaubte ein Stück Sandstein als Waffe auf und rannte auf den Lärm zu.
    Hassan rang mit einem anderen Mann, einem Mann, der europäische Kleidung trug. Als sie näher kam, keuchte sie vor Schrecken. Im Zwielicht der Vordämmerung war es schwer, etwas Genaues zu erkennen, aber sie wusste, wer es war. Sie erkannte seine Gestalt, seine Haare und jetzt, da er vor Wut aufstöhnte, seine Stimme. Es war Carstairs.
    Beinahe im gleichen Augenblick ertönte ein scharfer Schrei von Hassan, dann fiel er zu Boden und rührte sich nicht mehr.
    Louisa erstarrte, dann stürzte sie zu ihm. »Was haben Sie getan?
    Hassan, mein Liebster, bist du in Ordnung?« Sie kniete nieder und berührte seinen Kopf, ihre Augen fest auf Carstairs gerichtet, der über ihnen stand. Die Wunde an Hassans Kopf war nass und klebrig. Ohne hinzusehen wusste sie, dass es Blut war.
    Carstairs hielt ein Messer in der Hand. »Die geweihte Ampulle. Oder ich töte ihn.« Seine Augen funkelten, als er auf sie zuschritt.
    »Sie sind wahnsinnig!« Sie versuchte, Hassan mit ihren bloßen Händen zu beschützen.
    »Schon möglich.« Carstairs kam rasch wieder zu Atem. »Aber lassen Sie meinen Geisteszustand ruhig meine Sorge sein, Mrs.
    Shelley. Geben Sie mir die Flasche und Sie sind mich für immer los, andernfalls sehe ich mich gezwungen, ihn zu töten. Sind Sie selbst wahnsinnig, nur mit einem Bauern als Schutz in die Wüste hinauszugehen? Haben Sie noch nichts von den Banditen gehört, die hier draußen Reisende überfallen und ausrauben?«
    »Hier gibt es keine Banditen außer Ihnen!«, rief sie ihm verzweifelt entgegen. »Und Sie werden sich vor Gericht verantworten.«
    Hassan wollte sich bewegen. Er stöhnte und sie drückte ihn sanft zurück. »Lieg ganz still, mein Liebster.«
    »Ja, ganz still.« Carstairs lächelte. Es war heller geworden, wie sie plötzlich bemerkte. Jetzt konnte sie sein Gesicht deutlich sehen. »Und was das Gericht anbelangt, wer würde Ihnen denn

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