Das Lied der alten Steine
wir es noch gesagt haben. Er wird Blut und Wasser schwitzen.«
»Und das ist alles, was Sie vorhaben? Ihn schwitzen zu sehen?«
Sie nickte. »Solange wir in Ägypten sind, ja.«
Er schnaubte und schüttelte den Kopf. »Okay. Wenn Sie es so wollen. Es ist Ihr Tagebuch.«
Sie gingen den Pfad hinunter zu dem Landungssteg. Als sie ankamen, waren dort schon mehrere Boote versammelt. Im Wasser und auf dem Steg trieben sich Dutzende von Männern und Jungen herum, die Souvenirs in allen möglichen Formen und Größen und Nippsachen für Touristen feilboten. Anna und Toby bahnten sich einen Weg durch die Menge und winkten ein Boot heran. Nach einem fröhlichen und raschen Austausch von Zahlen, begleitet von einer reichen Gebärdensprache, gelang es Toby, einen Preis für die Rückfahrt zum Weißen Reiber auszuhandeln, und sie stiegen an Bord. Dabei mussten sie sich bis zum letzten Moment der Plastikgötter, Ramsesköpfe und Zinnkatzen sowie der Händler erwehren, die mit all diesen Dingen lockend herumwedelten und hinter ihnen herwateten, bis ihnen das Wasser an die Schenkel reichte.
»Ich habe das gehasst, als wir zuerst hier ankamen, aber allmählich gewöhne ich mich daran.« Anna zuckte die Achseln und kehrte der Insel und den Männern, die inzwischen eine neue Touristengruppe belagerten, den Rücken zu. »Ich bin sicher, die Leute würden mehr kaufen, wenn sie sich die Sachen in Ruhe ansehen dürften. So wie es ist, muss man ja davonlaufen. Schon ein zweiter Blick ist eine Katastrophe.«
Toby lehnte sich auf seinem Sitzplatz zurück und sah zu den Segeln hinauf. Es schien eine Art Wind zu geben, denn sie hatten ganz gut Fahrt auf ihrem Rückweg zum Weißen Reiher, auch wenn das große Segel kaum gebläht am Mastkopf hing.
»Es geht aber immer freundlich zu. Ich mag die Menschen hier.« Er warf einen Blick auf den Mann am Steuerruder, der nun, nachdem er sie beide der Konkurrenz weggeschnappt hatte, gelassen und scheinbar unbeteiligt seinem Tagwerk nachging, ohne sie eines Blickes zu würdigen. »Ich schätze, richtig schlimm ist es nur in diesen Touristen-Hochburgen. Im übrigen Ägypten kann man wahrscheinlich reisen, ohne dass man auf Schritt und Tritt verfolgt wird. Auf der Insel selbst hat uns schließlich niemand belästigt, oder?«
Sie aßen bei Kerzenlicht eine Spezialität von Ibrahim, etwas, das er Mulukhiya nannte, eine Kräutersoße auf Reis, gefolgt von gegrilltem Flussbarsch und Gemüse. Als Nachtisch gab es Datteln und Frischkäse, danach ägyptischen Kaffee. Erst als sie ihm versicherten, dass sie nichts mehr essen könnten, wünschte Ibrahim ihnen eine gute Nacht und ging.
»Und so haben wir das Schiff für uns ganz allein«, sagte Toby mit einem Lächeln zu Anna.
Sie nickte. »Vergessen Sie nicht, dass der Kapitän noch an Bord ist.«
»Aber wir sehen ihn nicht. Er ist die graue Eminenz.« Toby grinste. »Vielleicht gibt es ihn überhaupt nicht. Oder vielleicht ist er auch Ibrahim, nur mit einer anderen Mütze!« Er warf ihr einen Blick zu, dann wurde sein Gesicht nachdenklich. Er ging voraus an Deck und lehnte sich an die Reling. Nachdem Anna sich zu ihm gesellt hatte, schwiegen sie noch lange. Sie fragte sich ob er ihr etwas zu sagen hatte und noch darüber nachdachte.
Während sie neben ihm an der Reling stand, wartete sie ruhig ab, zufrieden damit, einfach dem Heraufziehen des Abends zuzusehen.
Es dauerte noch mehrere Minuten, bis er schließlich sprach.
»Was hat Andy Ihnen über mich erzählt?« Er sah sie nicht an.
Sie kaute nervös auf ihrer Lippe. Einen Moment lang sagte sie nichts, dann wandte sie sich ihm zu. »Er hat angedeutet, sie wären in irgendeinen Skandal verwickelt gewesen.« Sie zuckte die Achseln. »Unter den gegebenen Umständen habe ich allerdings nicht viel darauf gegeben. Ich glaube, da sitzt er doch wohl selbst ziemlich im Glashaus.«
Er verzog das Gesicht. »Warum haben Sie mich nicht gefragt, ob es wahr ist?«
Sie zögerte, musterte sein Profil. »Weil ich gedacht habe gehofft habe –, dass es nicht wahr ist.«
Er hatte sie immer noch nicht angesehen. Erst nach einem weiteren langen Schweigen wandte er seinen Blick schließlich ihr zu. »Es ist wahr. Anna, ich will nicht, dass es irgendwelche Geheimnisse zwischen uns gibt.«
Sie wartete, während sich in ihrem Magen ein dumpfes Angst-gefühl breit machte. Ihr Mund war trocken, als sie es endlich über sich brachte, die Frage zu stellen: »Was ist geschehen?«
»Ich habe jemanden umgebracht.«
Eine lange
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