Das Lied der alten Steine
bleich.
Da ist Macht in diesem geweihten Fläschchen. Macht ohne Maß. Und es wird von Priestern aus alter Zeit bewacht, die es nie verlassen haben. Er schüttelt das Haupt. › Bringe mir Papier und Tinte, dass ich ihren Willen aufschreiben kann. Diejenigen, die diesen Gegenstand mit frevlerischen Händen berührten, haben dafür mit ihrem Leben bezahlt ‹ .
Anna saß auf dem Bett in ihrer Kabine, als Serena klopfte und die Tür aufstieß. »Alles in Ordnung?«
Anna nickte. Das Fläschchen lag neben ihr auf der Decke.
»Ich habe mit Omar gesprochen.« Serena setzte sich, nahm es in die Hand und drehte es immer wieder sanft in ihren Händen.
»Er war etwas erschrocken von deinem Ausbruch eben, deshalb habe ich versucht, es ihm zu erklären.« Sie zuckte mit den Schultern. »Er weiß überhaupt nichts davon, dass Toby verhaftet worden sein soll. Er hat sofort mit dem Kapitän gesprochen, weil er die Aufsicht auf dem Schiff hatte, während Omar weg war, und der sagte, dass niemand nach Toby gefragt hätte. Und
Tobys Pass ist auch noch im Safe.«
»Was heißt das?«
Serena hob eine Augenbraue. »Das heißt, dass alles dafür spricht, dass Andy lügt, wie ich es mir gedacht habe.« Sie hielt das Fläschchen in die Höhe. »Sonderbar, dass Louisa es nach Hassans Tod behalten hat. Ich hätte gedacht, sie wäre es lieber losgeworden.«
Anna schüttelte den Kopf. Sie nahm das Fläschchen und strich sanft mit dem kleinen Finger darüber. »Es ist so klein und es hat so viel Unglück gebracht. Bestimmt hat sie es behalten, weil Hassan es ihr geschenkt hat. Ich frage mich, ob sie Carstairs wiedergesehen hat.«
Serena deutete auf Annas Tasche. »Ich glaube, ich bin mittlerweile genauso süchtig nach der Geschichte wie du. Haben wir vor dem Essen nicht noch ein bisschen Zeit zum Lesen?«, fragte sie voller Hoffnung. »Es würde dich vielleicht von Toby ablenken…«
Sir John klopfte an Louisas Kabinentür und stieß sie auf. »Wie fühlen Sie sich, meine Liebe?« Sie lag auf dem Diwan, in einen seidenen Morgenmantel gehüllt. Sie hatte Kopfschmerzen und ihre Haut brannte wie Feuer. »Können wir Sie nicht überreden, wenigstens eine Kleinigkeit zu essen? Mohammed heckt immer neue Leckerbissen für Sie aus.« Er sah auf den unberührten Teller, der neben ihr stand.
Sie brachte ein müdes Lächeln zustande. »Es tut mir Leid. Ich bin nicht hungrig.«
»Nein. Na ja, ich sage ihm, er soll es weiter versuchen.« Er nickte. »Eine Gruppe von Nubiern kam heute Morgen an Bord, Louisa. Sie haben Ihre Bilder gebracht und die Sachen, die noch in der Höhle waren.« Er blickte plötzlich auf seine Füße. »Sie sind sehr ehrlich, diese Menschen. Ich habe es ihnen gut entgolten.« Er sah sie wieder an. »Ich dachte, dass Sie Ihre Sachen zurückhaben wollten.« Er ging zur Tür und hielt sich draußen noch mit irgendetwas auf, dann brachte er ihre Stofftasche herein. »Soll ich sie hier lassen?« Er wartete auf ein Zeichen. Als sie keines gab, zuckte er die Achseln und stellte die Tasche unter den kleinen Tisch an die Wand.
Kurz darauf verließ er sie und schloss die Tür leise hinter sich.
Als er wiederkehrte, war es dunkel. Sie hatten oberhalb des Katarakts, nahe Philae, angelegt. Draußen erstrahlte der Fluss im Mondlicht.
»Louisa, Lord Carstairs ist im Salon. Er ist anscheinend auf dem Dampfer nach Assuan gekommen. Sind Sie wohl genug, um ihn zu empfangen?«
Sie setzte sich langsam auf und strich sich die Haare aus den Augen. »Er ist hier? Auf diesem Schiff? Ich dachte, Sie hätten ihm verboten, noch einmal einen Fuß darauf zu setzen.«
Sir John hob unbehaglich die Schulter. »Er hat gehört, was geschehen ist. Er möchte Sie sehen.«
Einen Moment saß sie regungslos, als ob sie ihre Kräfte sammeln wollte, dann stand sie allein auf. »Ich werde ihn im Salon treffen.«
»Soll ich Treece rufen, dass sie Ihnen beim Ankleiden hilft, meine Liebe?«
»Nein, das ist nicht nötig.« Sie stürzte an ihm vorbei. »Was ich Roger Carstairs zu sagen habe, erfordert keine formelle Kleidung.«
Er saß im Salon und trank mit Augusta Sorbet, als Louisa hereinplatzte. Beide wandten sich zu ihr um und sie sah, wie Carstairs die Augen aufriss. In ihrem dunkelblauen Morgenmantel, mit wirrem Haar und bleichem Gesicht, auf dem sich noch Tränenspuren abzeichneten, musste sie in der Tat ungewöhnlich aussehen.
»Bitte, lassen Sie uns allein, Augusta!« Ihre Bitte klang so entschieden, dass Augusta sich wortlos erhob und auf Deck
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