Das Lied der alten Steine
schon gegangen war, dann legte sie sich schließlich auf das Bett und schloss die Augen.
Zwanzig Minuten später gab sie es auf, schlafen zu wollen. Sie griff nach dem Tagebuch, hielt es eine Weile fest und dachte nach. Das Lesezeichen war schon fast ans Ende vorgerückt. Es blieben nur noch wenige Seiten zu lesen.
Louisa war schließlich in Schlaf gesunken. Als sie erwachte, lag sie einfach nur da und blickte wie so oft an die dunkle Decke in ihrer kleinen Kabine. Das Schiff war still, aber sie roch die Essensgerüche aus der Mannschaftskombüse, und von weiter weg, irgendwo vom fernen Ufer, hörte sie das leise Klagen eines Musikinstruments, das das leise Rascheln in den Palmen übertönte.
Sie brauchte den Kopf nur etwas zu wenden, um ihre Farben und Skizzenbücher auf dem Tisch zu sehen. Jane Treece hatte sie von Louisas Bett dorthin geräumt. Ganz vorn lag das kleine, in Seide eingewickelte und mit Band umschnürte Päckchen. Als eine Träne ihre Wange hinablief, schloss Louisa die Augen.
Jemand klopfte vorsichtig an die Tür. Einen Augenblick lang kümmerte sie sich nicht darum, dann rief sie mit einem Seufzer
»Herein«. Augusta erschien mit einer Kerze in der Tür.
»Bitte, Louisa, kommen Sie doch zum Abendessen. Es würde die Männer so glücklich machen. Der Reis sagt, dass Mohammed ganz verzweifelt ist, dass Sie sich nicht trösten lassen. Sie werden noch krank, meine Liebe, wenn Sie nichts essen.«
Louisa setzte sich auf. Ihr Kopf drehte sich. Augusta hatte Recht. Es hatte keinen Sinn, sich zu Tode zu hungern. Schließlich musste sie nach England zu ihren Söhnen zurückkehren.
»Soll ich Treece bitten, dass sie Ihnen beim Ankleiden hilft?«
Augusta bückte sich und hob den blauen Morgenrock auf, der heruntergerutscht war.
Louisa nickte. »Ja, das wäre schön. Bitte. Ich komme dann zu Ihnen.« Sie brachte unter Tränen ein Lächeln zustande, als Augusta die Kerze absetzte und hinausging, um Treece zu rufen.
Louisa saß regungslos in der stillen, dunklen Kabine, den Kopf auf die Hände gestützt. Sie konnte immer noch die Musik hören, doch klang sie weiter entfernt.
Die dunkelfarbige Holztäfelung und die Wandbehänge der Kabine bildeten in dem Licht der Kerze ein reiches Spiel aus Farben und Schatten, und als Louisa schließlich den Blick hob, war die Gestalt am Tisch genau das, ein Schatten, der über den Tisch gebeugt stand und seine Hand ausstreckte.
»Hassan?« Einen Moment lang war sie verwirrt. Sie rührte sich nicht. Erst nach einigen Sekunden sprang sie auf, wollte die Arme um ihn werfen, doch die Gestalt war fort.
Hinter ihr ging die Tür auf und Treece trat mit einer Schüssel und einem Krug voll dampfendem Wasser ein. Es roch nach Rosenöl und Louisa konnte den dünnen Ölfilm auf dem Wasser sehen.
Kläglich erlaubte sie Treece, ihr Gesicht, Hände und Hals zu waschen. Sie ließ sich in das weite dunkelgrüne Kleid helfen und dann das Haar zu einem Nackenknoten binden. Als Louisa die Kabine verließ, hörte sie die andere empört schnauben, während diese die Fensterläden öffnete und das Wasser hinaus in die Dunkelheit schüttete. »So ein Theater!« Die Worte waren absichtlich so laut gesprochen, dass sie sie hören konnte. »Und das alles für einen Eingeborenen!«
Die Wut trieb Louisa durch den Salon hinauf auf Deck, wo die anderen mit ihren Drinks auf sie warteten. Sie nahm den von Sir John angebotenen Platz, dann wandte sie sich um und sah über den Fluss. Hier war er sehr breit und machte einen weiten Bogen.
Die Palmen, die auf beiden Seiten bis hinab ans Ufer reichten, wedelten mit ihren Blättern anmutig vor dem Sternenhimmel. Am jenseitigen Ufer sah sie zwei Schiffe, die nebeneinander vertäut lagen. Selbst im Dunkeln konnte sie sie erkennen.
Das Schiff der Fieldings und das von Lord Carstairs waren hell erleuchtet und die Musik kam, wie ihr plötzlich klar wurde, von einer Gruppe von Musikern, die auf dem Deck der Scarab spielten.
Sie drängte an Sir John vorbei an die Reling und starrte über das Wasser. Er folgte ihr. »Nehmen Sie sie einfach nicht wahr, meine Liebe. Kommen Sie, lassen Sie uns etwas trinken und dann essen wir zusammen.«
»Feiern sie dort ein Fest?« Eine soiree! Ihre Hände umklammerten das Geländer, sodass ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Nichts dergleichen, da bin ich mir sicher. Sie haben nur eine Gruppe von Musikern gebeten, für sie zu spielen. Das ist ihr gutes Recht, Louisa…«
»Sie sind auf dem Schiff von Roger
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