Das Lied der alten Steine
Augenbraue. »Nun? Was war?«
Serena zuckte die Achseln. »Wir haben das Fläschchen verloren. Es ist weg.« Sie beugte sich herunter und sammelte die übrigen Gegenstände in ihre Tasche. Sie entfernte den Sand von der kleinen, auf dem Thron sitzenden Isis-Statue und verstaute sie. Sie wollte sie nicht zurücklassen, vielleicht würde sie sie noch einmal brauchen. Ihr eigenes Opfer an Isis, eine kleine Gold-brosche, war still im Wasser versunken, während Anna und Toby miteinander sprachen. Dies waren die Werkzeuge ihrer Zunft.
»Anna?« Toby berührte sie an der Schulter. »Geht es dir gut?«
Anna nickte schweigend. Sie starrte in die Dunkelheit und sah ihn nicht an.
Er runzelte die Stirn, dann drehte er sich wieder um zu Serena.
»Wir müssen gehen. Haben Sie alles?« Er sah sich um. Dann hielt er inne und zeigte auf etwas. »Da ist dein Fläschchen.
Siehst du? Es ist in diese Vertiefung im Strandkies gerollt.« Er bückte sich und hob es auf. »Anna?«
Sie schien ihn nicht zu hören. Vor ihrem inneren Auge zogen immer noch die riesigen Ausdehnungen der Wüste vorbei. Er zuckte die Achseln und sah Serena an.
Sie nahm ihm die Flasche ab. »Ich passe auf sie auf.« Sie steckte sie in ihre Schultertasche, dann fasste sie Anna am Arm.
»Bereit?«
Anna nickte langsam. Sie wandte sich vom Fluss ab, und als Toby ihr die Hand hinhielt, ergriff sie sie.
Hinter ihnen lag das Flussufer in tiefer Stille. Die Geräusche der Nacht waren verstummt. Eine kurze Weile versank dieser Teil der Insel in reglosem Schweigen, dann kehrten die Laute langsam zurück und das Wasser plätscherte wieder an den Uferstrand.
Andy wartete am Landungssteg auf sie. »Na, wie hat es Ihnen gefallen?« Er lächelte Anna an. »Fabelhaft, oder?«
Anna nickte. »Fabelhaft, wirklich.« Sie rieb sich einen Moment lang das Gesicht, als wollte sie sich selbst aufwecken. Sie fühlte sich immer noch seltsam weit weg von allem, wie abgeschnitten.
»Allerdings haben Sie es nicht gesehen.« Andy neigte sich nah zu ihr. »Glauben Sie wirklich, ich hätte nicht bemerkt, dass Sie sich fortgestohlen haben?«
Missbilligend trat sie zurück. Sie konnte Alkohol in seinem Atem riechen.
»Andy!«
»Sie mussten sich mit ihrem Lover in den Büschen verstecken, nehme ich an! Sie glauben mir nicht, stimmt’s? Sie wollen nicht glauben, dass er ein Schurke ist.«
»Andy.« Toby ließ Annas Arm los und ging auf ihn zu. »Ich habe jetzt die Nase voll davon! Was genau wollen Sie sagen?«
»Dass Sie ein verlogener Scheißkerl mit Blut an den Händen sind, der sich von anständigen Frauen fern halten soll.« Er holte eine Flasche aus seinem Rucksack und nahm einen Schluck.
»Toby, nicht!« Anna kam mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück. Sie hielt Toby am Ärmel fest. »Tu’s nicht! Schlage ihn nicht. Das ist doch nur, was er erreichen…«
Sie brach mitten im Satz ab und schüttelte den Kopf. Mit den Händen an den Schläfen sah sie ihn ausdruckslos an. Wieder ging etwas mit ihr vor. Inzwischen waren sie umringt von lauter Menschen. Sie konnte sehen, wie die Leute sie anstarrten und miteinander tuschelten, als Andy mit der Flasche in der Luft fuchtelte. Sie konnte sehen, wie Ben seine Hand nach Andy ausstreckte und ihm einfach die Flasche abnahm, sie konnte sehen, wie Omar, der sich zwischen ihn und Toby gestellt hatte, auf beide einsprach und gestikulierte, doch zur gleichen Zeit sah sie die große weiße Sonne, die strahlend rotgoldene Wüste, die Landschaft, die sie durch die Augen des Mannes wahrnahm und die alles andere überblendete. Die Stimmen entfernten sich. Sie wurden immer leiser.
Ihre Füße bewegten sich langsam zu den Booten. Sie sah, wie draußen auf dem Fluss mehr Boote ankamen, mit Leuten für die zweite Show, die bald beginnen sollte. Sie hatte Serena aus den Augen verloren. Ebenso Toby. Sie blickte sich verstört um. Ihre Augen fassten nichts klar. Sie konnte Dünen sehen; der Wind wirbelte Sand auf und peitschte gegen ihr Gesicht. Das strahlende Blau des Himmels darüber lag in weiter Ferne. Dann war Andy wieder neben ihr. Er lächelte und reichte ihr eine Hand.
»Bitte, Herrschaften. Wir müssen zum Schiff zurück. Der Koch hat ein wundervolles Abendessen für uns vorbereitet.«
Omar trieb seine Herde enger zusammen. »Bitte, beeilen Sie sich. Ibrahim bringt mich um, wenn wir zu spät zum Abendessen kommen!« Er grinste und ging voraus, wobei er seine eigene Touristenmeute enger zusammenscheuchte aus Furcht, jemanden im Dunkeln zu
Weitere Kostenlose Bücher