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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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drehte sich um. In wenigen Sekunden war er in der sich langsam, vorwärts bewegenden Schlange verschwunden. Toby schloss sich ihnen an. »Sehe ich das richtig, dass ich ihn verjagt habe?«
    »Ja.« Anna lächelte. »Und das war wichtig, denn wir wollen uns unbemerkt verdrücken. Wir wollen ins Allerheiligste, während alle anderen abgelenkt sind, und eine zweite Anrufung der Priester versuchen.«
    Toby warf einen Blick über die Schulter. »Ihr habt nicht die geringste Chance. Schau dir die ganzen Lichter an. Und da sind Männer, die die Leute auf ihre Plätze scheuchen.« Männer, Frauen und Kinder strömten an ihnen vorbei. »Es muss doch sicher nicht im Allerheiligsten sein? Die Nähe des Tempels müsste genügen. Wie wäre es da unten irgendwo?« Er zeigte nach rechts auf eine Stelle unterhalb des Kiosks.
    »Kommen Sie mit uns?« Serena wurde sichtlich aufgeregt.
    Toby schüttelte den Kopf. »Nur wenn Sie es wünschen. Dies ist Frauensache, oder? Aber ich helfe Ihnen gern, einen Platz zu finden, und stehe auch gern Wache.«
    »Wir müssen schnell verschwinden. Wenn erst mal alle sitzen, kommen wir nicht mehr unbemerkt weg.« Sie blickte sich hektisch in der Gegend um. »Alles ist angestrahlt. Ich hatte keine Ahnung, dass die Insel so klein ist. Es wird schwer sein, irgendwo eine einsame Stelle zu finden!«
    »Das kriegen wir schon hin.« Toby lächelte sie zuversichtlich an. »Folgen Sie mir hier den Weg hinunter.« Er tauchte plötzlich vom Pfad weg ins niedrige Gebüsch. »Sehen Sie?«, rief er gedämpft. »Dort, wo das Licht nicht hinkommt, sind die Schatten absolut schwarz. Das liegt am Kontrast. Niemand wird Sie da unten am Ufer sehen. Es ist ein perfekter Platz.«
    Sie folgten einem schmalen Pfad am Rand der Insel, weg von den beleuchteten Sitzreihen. Der sandige Untergrund bot ihren Füßen nur wenig Halt. Sie klammerten sich an die Felsen unterhalb des Trajankiosks und entdeckten einen Streifen Strand, der von Büschen gesäumt war. Toby kroch hinunter ins Dunkel.
    »Wenn Sie nicht das große Pech haben, dass ein verirrter Scheinwerfer herleuchtet, wird Sie niemand sehen. Alle sind vom Flutlicht geblendet, und wenn die Lightshow erst mal läuft, sind sie ohnehin beschäftigt. Okay? Sie haben ungefähr eine Stunde Zeit, schätze ich. Ich gehe zurück und halte hinten im Publikum die Augen offen. Nachher komme ich zurück und wir treffen uns am Ende hier.« Er sah sich um. »Viel Glück. Und seid vorsichtig.« Er küsste Anna rasch auf die Lippen und wandte sich ab. Man hörte das Rascheln trockener Farnwedel, dann war er fort.
    Serena hockte bereits auf dem Sand und kramte in ihrer Tasche. »Ich glaube nicht, dass irgendjemand bei all dem grellen Licht da oben eine Kerze sieht. Ich werde sie später mit dem Weihrauch zusammen anzünden. Den brauche ich, um die Göttin anzurufen.« Sie sprach mit sich selbst. Sie holte tief Atem und biss sich auf die Lippe. »Ich habe ein Tuch mitgebracht, auf dem ich die Dinge ausbreiten kann.« Ihre Hände zitterten, als sie die kleine Statuette, das Henkelkreuz, den Weihrauch und die Kerze auf dem Tuch verteilte. Anna brachte aus ihrer eigenen Tasche das Parfümfläschchen zum Vorschein, packte es aus und legte es Isis zu Füßen. Dann erstarrte sie. Irgendwo über ihnen wurden plötzlich Stimmen laut. Lautes Gelächter erscholl über dem Wasser.
    »Sie können uns nicht sehen«, murmelte Serena. »Wir warten, bis die Show anfängt.« Sie sah im Dunkeln auf ihre Uhr, zuckte aber nur die Achseln, denn sie konnte nichts erkennen. »Es kann nicht mehr lange dauern.« Sie hantierte mit den Streichhölzern und fluchte, als sie die Schachtel falsch herum öffnete und die Streichhölzer sich über ihren Schoß ergossen.
    »Immer mit der Ruhe.« Anna fasste sie am Arm. »Wir haben keine Eile. Und wir sind hier sicher. Toby hat Recht. Niemand kann uns sehen, selbst wenn sie direkt zu uns herunterschauen.«
    Sie hielt inne und sah hinauf. »Hör mal, es fängt an,«
    Plötzlich gingen überall auf der Insel die Lichter aus. Serena hielt den Atem an. Die Dunkelheit um sie herum war nahezu mit Händen zu greifen. Die Show hatte begonnen.
    Es war schwer, den Lärm hinter ihnen nicht zu beachten. Die körperlosen Stimmen, die Musik, die über das Wasser schallte, das Lichtspiel, alles das, um die Geschichte aus der Dunkelheit wieder erstehen zu lassen. Doch die beiden Frauen knieten eng beieinander im Sand und konzentrierten sich auf das kleine Stück blasser Seide, das vor ihnen lag.

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