Das Lied der alten Steine
verlieren.
Anna zögerte. Sie schüttelte wieder den Kopf und versuchte sich zu konzentrieren. »Wo ist Toby?«
Andy lachte. »Er ist wahrscheinlich von Interpol entführt worden. Er und die spinnerte Serena.« Er packte ihre Hand.
»Charley ist nach Hause geflogen. Haben Sie das gewusst?
Dienstuntauglich den Abschied genommen. Es war zu viel für sie. So kann ich jetzt Ihnen meine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken, Verehrteste. Ihnen und diesem wunderschönen Tagebuch.« Er beäugte ihre Tasche. »Bitte, erzählen Sie mir nicht, Sie hätten es mit hergebracht.«
Sie versuchte, ihre Hand freizubekommen. »Andy, wollen Sie mich wohl loslassen! Ich kann wirklich darauf verzichten, dass Sie mich begrapschen.« Wieder hatte sie Schwierigkeiten, den Blick auf etwas zu konzentrieren. Erst recht, sich auf das zu konzentrieren, was um sie herum geschah.
Sie gingen immer noch fast auf der Stelle, eine Menschenmenge, die am Rand des Tempelvorhofs wartete und langsam die Stufen hinunter zu den Landungsstegen tröpfelte, wo das erste Motorboot längsseits festmachte. Ihnen gegenüber, auf der anderen Seite des Kanals, ragten die riesigen Buckel der Insel von Biga wie schwarze Kavernen in die Schatten der Nacht auf, wo die Lichter von Aglika nicht hinreichten.
»Anna!« Plötzlich war Serena wieder neben ihr. »Bist du in Ordnung?« Sie waren jetzt fast an der Spitze der Schlange.
»Natürlich ist sie in Ordnung.« Auch Andy war immer noch neben ihr. »Ich passe auf sie auf.«
Serena schürzte die Lippen. »Was hast du dir dabei gedacht, eine Flasche Wodka mit hierher zu bringen.«
Er zuckte die Achseln. »Kalte Nacht. Ich fand’s ’ne gute Idee.
Ich habe sie Ben gegeben. Wenn du was willst, solltest du besser ihn fragen.«
»Ihn fragen!« Serena starrte ihn empört an. »Weißt du, wie sehr es die Ägypter beleidigt, wenn du so betrunken bist? Du Idiot!«
Der Mann, der die Besteigung des Bootes überwachte, hob eine Hand. Das Boot war voll. Es stieß vom Landungssteg ab und steuerte auf die Flussmitte zu, während ein zweites vor ihnen anlegte.
Anna nahm plötzlich wahr, dass Toby neben ihr stand. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und lächelte. »Ich fürchte, Andy hat vor, uns allen Schande zu bereiten.«
»Du überraschst mich!« Tobys Stimme klang grimmig. »Nun, wenn er sich unbedingt zum Narren machen will, dann schlage ich vor, er macht das woanders, wo er nicht Gefahr läuft, ins Wasser zu fallen!« Er hielt Andys Arm fest und drängte ihn vom Rand des Landungsstegs weg dorthin, wo Ben stand. »Können Sie ein Auge auf ihn haben, Ben? Er ist nicht gerade nüchtern und er geht uns mächtig auf die Nerven.« Er ließ ihn dort und kehrte zu Anna zurück. »Und du, Anna, siehst auch nicht gerade aus, als ob du völlig in Ordnung wärst. Was ist denn da vorhin am Strand passiert?« Er sprach leise in ihr Ohr.
Sie starrte ihn an und machte ein besorgtes Gesicht. »Es war ganz seltsam.«
Das Boot stieß an den Steg, kurz darauf löste einer von der Mannschaft die Kette vor dem Durchlass in der Brüstung, sodass sie an Bord steigen konnten. Sie gingen durch die Bankreihen, vorbei an der Maschine und auf das geräumige Heck. Anna setzte sich zwischen Serena und Toby in eine Ecke. Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich bin einfach nur müde, das ist alles. Ich fühle mich ganz komisch.« Sie blickte auf. Andy kam grinsend auf sie zu. Er setzte sich auf den Platz ihr gegenüber.
Ben folgte ihm und setzte sich mit einem Achselzucken neben ihn. »Ich glaube, dieser Mann muss etwas Nahrung zu sich nehmen«, erklärte er frohgemut. »Wenn er erst das Abendessen hinter sich hat, wird es ihm wieder besser gehen. Nun, wie fanden Sie die Show, meine Damen? Hat sie Ihnen gefallen?« Er rückte näher an Andy heran, da sich immer mehr Leute auf den Bänken drängten.
»Sie war gut.« Anna nickte und lächelte.
»Nicht gut.« Andy beugte sich vor und berührte ihre Knie.
»Sie hat sie nicht gesehen, das ungezogene Mädchen. Sie hat mit unserem flotten Knacki hier geknutscht.«
Toby blickte erzürnt, aber Anna umklammerte seinen Arm.
»Lass dich nicht darauf ein. Überhör es einfach«, flehte sie ihn an.
Andy war nicht aufzuhalten. Er wandte sich wieder an Anna und hob seine Stimme, sodass er das Gelächter und Geschnatter und sogar die Maschine, die in der Bootsmitte vor sich hin dröhnte, übertönte. »Haben Sie also das hübsche Parfüm-fläschchen zur Show mitgebracht? Sie können sich ja wohl gar nicht
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