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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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fortgetragen von dem südlichen Wüstenwind.
    »Anna? Kannst du mich hören? O Gott, was ist los mit ihr?«
    Sie lächelte, als die süßen Düfte von Blumen und Früchten aus den Tempelanlagen über den Sand zu ihr geweht wurden. Anis und Zimt, Dill und Thymian, Feigen und Granatäpfel, Oliven und Trauben und süße, saftige Datteln. Kräuter aus den sorgsam bewässerten Gärten und aus den Räumen Weihrauch, Harze und Öle.
    Ihre Hände streckten sich nach dem überwältigenden Licht.
    Sie konnte die klebrige Fülle von Wein und Honig auf ihren Handflächen spüren. O geliebtes Land, Ta-Mera, Land der Flut, Land des Feuers.
    »Anna!« Es war Tobys Stimme. Tobys Hände lagen auf ihrer Schulter, ihren Armen. »Anna, was ist los?« Er klang weit entfernt, seine Stimme war ein Echo über die Zeiten hinweg.
    Dann waren da andere Stimmen, grelles Licht in ihren Augen, Finger, die ihren Puls fühlten. Sie zuckte mit den Schultern. Sie waren weit weg und unwichtig. Die Sonne sank in einem strahlenden Karmesinrot. Bald würden die Sterne über der Wüste leuchten: der große Strom im Himmel, die Milchstraße, Spiegelbild des Flusses hier unten, und heller als alle anderen der heilige Stern Sept, der Hundestern auf der Ferse des Gottes Osiris.
    Dann war alles dunkel. Sie schlief. Als sie aufwachte, spürte sie die kalten, köstlichen Wasser des Nils auf ihren Lippen.
    Erneut Stimmen aus unnennbaren Entfernungen, erneut Stille und Dunkelheit.
    »Anna!« Es war Serena. »Anna, du fährst nach Hause.«
    Doch das hier war zu Hause. Das Zuhause der Götter, das Land des Sonnengottes Ra.
    Seltsam. Sie saß in einem Auto. Sie konnte das Rucken der Räder spüren, das Gehupe hören, Abgase riechen, aber alles war so weit weg. Ein starker Arm hielt ihre Schulter umfasst und sie lehnte sich dankbar dagegen. Ihr Körper war unerträglich müde, während es ihren Geist immer noch mit Macht zur Wüste und zur Sonne zog.
    Sie schlief wieder. Das Geräusch von Flugzeugdüsen war das gewaltige Brüllen der Katarakte in ihrem Kopf, das quirlende regenbogenfarbene Wasser unter dem dunklen Nilfels, das Abheben der Räder von der Startbahn der freie Flug des großen Falken, dessen Augen das weite Land Ägyptens überschauen konnten.
    Folgsam nahm sie einen Schluck Fruchtsaft und knabberte an einem Stück Brot. Wieder fielen ihr die Augen zu. Ihr Kopf füllte sich erneut mit dem Heulen des Windes, dem Wüten des Sandsturms und dem scharfen Schwert der Wüstenblitze, die durch Wolken schnitten, welche nie Regen geben würden.
    Über ihrem Kopf tauschten Serena und Toby Blicke und runzelten die Stirn. Als die Stewardess mehr Essen brachte, winkten sie ab.
    Die Luft in England war eisig und scharf. Im Taxi wollte Anna sich wehren. Die Stimme in ihrem Kopf begann zu nörgeln. Das Wesen, das aus ihren Augen sah, wurde unruhig. Wo war die Sonne?
    Anna wurde mit jeder Sekunde schwächer.
    »Es tut mir Leid, dass ich dir das Ganze aufhalse, Ma. Wir wussten nicht, wo wir sie hinbringen sollten.« Tobys Stimme erklang plötzlich klar. Sein Arm hielt sie immer noch umfasst, so führte und stützte er sie. »Sie lebt allein, und wie wir schon gesagt haben, Charley wohnt bei Serena, dort ist also kein Platz.
    Ich weiß nicht, wie ich ihre Familie erreichen kann.«
    »Bring sie nach oben, Schatz.« Die Stimme, die auf seine antwortete, klang freundlich und tief, gebildet und besänftigend.
    »Lass sie schlafen. Der Doktor ist unterwegs.«
    Sie sank in ein weiches, warmes Bett und spürte die Umarmung von Entendaunen, den Halt flauschiger Kissen in der kühlen Dunkelheit eines englischen Schlafzimmers.
    Allmählich ließ sein Griff nach, mit jedem Augenblick, den sie unter dem kalten nördlichen Himmel schlief, wurde die parasitäre Umklammerung ihrer Lebenskraft schwächer.
    Ägypten war weit weg.
    Der Priester von Sekhmet sah aus den Augen einer englischen Frau auf eine seltsame und fremde Welt und war plötzlich von Furcht überwältigt.

15
    Ich bin Gestern und Heute;
    und ich habe die Macht,
    ein zweites Mal geboren zu werden.
    Es werde nun erfüllt der Beschluss des Arnun-Ra, des Königs der Götter,
    des großen Gottes,
    der Prinz ist dessen,
    was Sein ward von Anfang an.

    Das Fieber, das alle tötete im Haus des Händlers, erschreckt seine Nachbarn und seine Freunde. Sein Neffe kommt, um seine Schätze wieder zu holen, und verpackt sie, um sie zum Basar mitzunehmen. In den folgenden Wochen und Monaten wechselt viel Geld den Besitzer. Die hübsche

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