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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Flasche, ein geeignetes Geschenk für eine Dame, steht mit dem Zettel, der die Legende dazu erzählt, verlockend im Regal. Die Priester, stark und zornig, kämpfen miteinander in den Sälen des Himmels und zerreißen mit ihren Speeren die Vorhänge der Dunkelheit.
    Der Händler, dem der Stand auf dem Basar gehört, wird krank. Das Letzte, das er verkauft, gibt er einem schönen jungen Mann, dessen Augen vor Liebe leuchten und der ein Geschenk für seine Auserwählte sucht.

    »Anna, sind Sie wach?« Frances Hayward stellte das Tablett bei der Tür ab, ging zum Fenster hinüber und zog die schweren Vorhänge auf, sodass das blasse Wintersonnenlicht über die Patchworkdecke floss. Sie wandte sich um, um ihre Patientin anzusehen. Die Frau, die sie da auf die Kissen gestützt liegen sah, war bleich und sehr dünn. Das lange dunkle Haar war über den blütengemusterten Bettbezug ausgebreitet. Unter den großen grünen Augen, die sich langsam öffneten, um den Raum erstmals deutlich wahrzunehmen, lagen tiefe Schatten der Anspannung und Erschöpfung.
    Seit einigen Tagen war der merkwürdige Gedächtnisschwund, der wie ein Schleier über ihrem Verstand lag und ihr nur die einfachsten Lebensfunktionen erlaubte, zurückgegangen. Sie lächelte Frances an, während sie sich mit den Kissen im Rücken aufsetzte. Das Zimmer, das schon duftete von der Schale mit rosa Hyazinthen auf dem Tisch vor dem Fenster, füllte sich plötzlich mit dem reichen Aroma von Kaffee und Toast.
    »Und wie geht es Ihnen?« Frances stellte das Tablett auf Annas Knie und setzte sich dann neben sie. Es stand eine zweite Tasse Kaffee auf dem Tablett, die sie nun nahm, während ihr Blick auf Annas Gesicht ruhte.
    Anna schüttelte den Kopf. »Durcheinander. Verwirrt. Mein Gedächtnis ist so konfus. Es scheint nicht zurückzukommen.«
    Sie warf Frances einen kurzen Blick zu. Ihre Gastgeberin war eine große Frau mit grauem, wild gelocktem Haar. Sie hatte kräftige Glieder und ein hübsches Gesicht. Da war eine Ähnlichkeit mit Toby, versteckt aber unverkennbar.
    Ruhig erwiderte sie Annas Blick und lächelte. »Soll ich es Ihnen noch einmal erzählen? Ich bin Tobys Mutter, Frances. Sie sind jetzt seit drei Wochen hier. Wissen Sie noch, wer Toby ist?« Sie hob fragend eine Augenbraue.

    Anna spielte mit einem kleinen Stück Toast. Als keine Antwort kam, fuhr Frances fort: »Sie haben ihn auf einer Nilkreuzfahrt kennen gelernt. Während der letzten Tage dort wurden Sie krank.
    Toby und Ihre Freundin Serena wussten nicht, was sie tun sollten, deshalb haben sie Sie hierher gebracht.«
    »Und Sie haben sich um eine völlig fremde Frau gekümmert.«
    Anna zerkrümelte das Stück Toast zwischen den Fingern.
    »Es war mir eine Freude. Aber ich mache mir Sorgen, meine Liebe. Sie müssen doch Freunde und eine Familie haben, die sich allmählich wundern, wo Sie bleiben.«
    Anna nahm die Kaffeetasse hoch und blies sanft in den heißen Dampf. Der Geruch löste tief in ihr etwas aus. Sie runzelte die Stirn und versuchte, ihre Erinnerung in Gang zu bringen. Da war so viel, nur knapp außerhalb ihrer Reichweite, wie ein Traum, der einem im Augenblick des Erwachens entgleitet. Da waren Bilder von Sanddünen und flirrender Hitze, vom leuchtenden Blau des Flusses und dem Grün der Palmen, aber keine Gesichter, keine Namen, nichts, um irgendetwas daran festzumachen. Wieder nahm sie einen Schluck Kaffee und zog die Stirn kraus.
    »Toby meinte, es könnte Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen, wenn wir Sie in Ihr Haus brächten. Aber nur, wenn Sie sich stark genug fühlen.« Frances beobachtete Annas Gesicht.
    Anna sah auf. Ihr Ausdruck war auf einmal belebter als bisher.
    »Sie wissen, wo ich wohne?«
    Frances lächelte. »Ja, so viel wissen wir! Aber wir konnten Sie dort doch nicht allein lassen. Und wir wussten nicht, wen wir benachrichtigen sollten. Sie haben Toby einiges über Ihren Familienhintergrund erzählt, aber an Namen oder Adressen konnte er sich nicht erinnern.«
    Später am Nachmittag fuhren sie mit dem Taxi quer durch London. Anna trug geliehene Hosen und gegen den kalten Märzwind einen eleganten Pulli aus Frances’ Schrank. Die Kleider in ihrem Koffer waren aus leichtem Sommerstoff, für eine Kreuzfahrt bestimmt. Nichts von dem könnte sie vor dem Südostwind schützen, der durch die Straßen pfiff und dabei an Reklametafeln rüttelte, Abfall über den Gehweg fegte und hoch oben über der Straße durch die Fernsehantennen heulte.
    Das Taxi hielt vor einem

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