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Das Lied der alten Steine

Das Lied der alten Steine

Titel: Das Lied der alten Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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Erstaunen über das, was sie gesehen hatten.
    Sie hielten die Esel bei einem der Eingänge an. Mohammed glitt aus dem Sattel und half Louisa beim Absteigen; dann holte er Kerzen aus der Satteltasche. Er fröstelte. »Ich mag diesen Ort nicht, Sitt Louisa. Hier gibt es böse Geister. Und Skorpione.«
    Und Schlangen.
    Das Wort hing unausgesprochen zwischen ihnen. Louisa biss sich auf die Lippe und zwang sich, voranzugehen und den Weg zu zeigen. »Wir werden hier nicht lange bleiben, Mohammed, das verspreche ich. Hast du den Spaten?«
    Sie hatten einen kleinen Spaten mitgebracht, der am Sattel seines Reittiers festgebunden war, sodass sie die Flasche im Sand vergraben konnte. Er nickte. Er ging nun rasch voraus, und sie sah, dass er die Hand auf dem Griff des Messers hielt, das in seinem Gürtel steckte. Als sie den Pfad hin zu dem schwarzen Viereck in der glänzenden Felskante hinaufstiegen, fand sie etwas Trost in dem Wissen, dass er bewaffnet und bereit war, das Messer zu ihrem Schutz zu gebrauchen.
    Keuchend erreichten sie den Eingang. Mohammed spähte hinein. »Ist das die richtige Stelle?« Sie sah, wie er heimlich das Zeichen gegen den bösen Blick machte.
    Sie bejahte stumm. Irgendwo da drinnen würde sie eine Darstellung der Göttin finden, mit der merkwürdigen charakteristischen Haartracht aus Sonnenscheibe und Thron und mit den Händen, die das Henkelkreuz umklammerten, das Symbol des Lebens, und den Stab.
    Sie griff in die Tasche, die über ihrer Schulter hing, kramte nach dem Fläschchen, das immer noch in die vom Wasser fleckige Seide gewickelt war. »Es wird nicht lange dauern«, wiederholte sie. Sie ging vor ihm hinein in die Dunkelheit und hörte das Reiben des Zündholzes hinter sich, als er die Kerze in der kleinen Laterne anzündete, dann sah sie die Schatten die Wände hinaufhuschen. Hier waren sie, die Bilder, die sie in solcher Klarheit im Gedächtnis hatte, die hellen Farben, die dichten, unendlichen Geschichten, dargestellt in seltsamen, nicht zu entziffernden Hieroglyphen, während die Reihen der Götter und Göttinnen bis in die tiefe Dunkelheit reichten.
    »Sitt Louisa!« Sein erstickter Schrei hallte in den stummen Tiefen des Grabes wider.
    Sie wirbelte herum.
    Er stand am Eingang, fast an der gleichen Stelle, wo sie ihn verlassen hatte, immer noch im Sonnenlicht, flach an die Wand gedrückt, vor Schreck erstarrt. Vor ihm wiegte sich das Haupt der Kobra hin und her.
    »Nein!« Ihr Schrei zerschnitt die Schatten, während sie zum Höhleneingang zurückeilte. »Lass ihn in Ruhe! Nein! Nein!
    Nein… «
    Als die Schlange zustieß, warf Louisa mit der Flasche nach ihr und fiel dann selbst über sie her, indem sie sie mit ihren bloßen Händen packte. Einen Augenblick wand sich die Schlange in ihrem Griff – warm, weich, schwer, dann war sie verschwunden.
    Louisa starrte auf ihre leeren Hände.
    Mohammed sank schluchzend auf die Knie. »Sitt Louisa, du hast mir das Leben gerettet!«
    »Hat sie dich nicht gebissen?« Plötzlich schüttelte es sie so gewaltig, dass sie nicht mehr stehen konnte. Auf einmal lag sie selber auf den Knien neben ihm.
    »Nein.« Er schloss die Augen und holte tief Atem. »Nein, Lillah! Sie hat mich nicht gebissen. Schau her!« Er breitete die weite Pluderhose aus. Sie sah den Einriss durch die Giftzähne und die lange Giftspur, die von dem Loch über den Stoff hinuntergeronnen war.

    Weiter unten hörten sie Steine rollen, und als sie hinsahen, kamen zwei Männer den Pfad heraufgeklettert. Der eine, in ägyptische Gewänder gekleidet, hatte eine gezogene Klinge in der Hand. Der andere war Europäer.
    »Wir haben Ihre Schreie gehört.« Der größere der Männer war von seiner Sprechweise her offensichtlich Engländer. Er spähte in den Eingang des Grabes hinein, während die beiden Ägypter in schnellem, aufgeregtem Arabisch miteinander sprachen.
    »Es war eine Schlange.« Louisa sah ihn dankbar an. »Ich glaube, sie ist weg.« Unsicher kam sie wieder auf die Füße.
    »Hat sie jemanden gebissen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Gott sei Dank hat sie ihn nicht erwischt.« Sie schloss die Augen.
    Die Flasche war verschwunden. Keine Spur war von ihr zu sehen, weder auf dem Weg, noch am Eingang zum Grab, auch nicht auf dem Pfad, der den steilen Hang zum Fuß des Felsens hi-nunterführte. Sie war zusammen mit der Schlange verschwunden.
    Sie nahm das Angebot ihrer Retter an, sich erst einmal auszuruhen und zu erfrischen, dann bestiegen sie und Mohammed wieder ihre Esel und

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