Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
zu unserem Stock erklomm. Auch Bettina war nicht da, als es mir nach mehreren misslungenen Versuchen endlich gelang, unser Zimmer aufzusperren.
Klar, ich hätte ins Krankenhaus oder zumindest zur Polizei gehen müssen, aber der Gedanke kam mir nur flüchtig, wenn überhaupt.
Ich war mir nicht sicher, ob ich sofort einschlief oder ohnmächtig wurde, als ich mich auf mein Bett fallen ließ.
Ich träumte. Wie immer war es zuerst nur ein leises Summen, dann erschienen Bilder wie aus einer Nebelbank. Unfähig, mich ihnen zu entziehen, tauchte ich in sie ein.
Dunstschwaden waberten über einen trügerischen grünen Grasteppich, Irrlichter blinkten in der Ferne auf. Ich stand in einem Moor, von dem ich wusste, dass es sich in Irland befand. Doch statt tiefer in den Sumpf vorzudringen, suchte ich meinen Weg hinaus und lief irgendwann zwischen Baumstämmen hindurch, deren Rinde sich rau an meinen Fingern anfühlte.
Selbst im Traum wusste ich, dass das nicht richtig war. Einem Teil meines Verstandes war klar, dass der Baum nicht echt war, nichts weiter als ein Traumbild. Er hätte sich nur nicht so … real anfühlen dürfen.
Aber so waren sie immer, meine Träume: verwirrend echt, aber dann auch wieder sprunghaft und verworren, so als würde ich eine Erinnerung erleben, die nicht meine eigene war.
Der Wind strich mir durchs Haar, ein kalter Hauch. Ich musste dringend mein Ziel erreichen, also lief ich schneller. Wo dieses Ziel war, konnte ich nicht sagen.
Als ich die letzten Bäume hinter mir ließ, blieb ich stehen. Vor mir erhob sich ein altes Schloss auf einem Hügel. Sein Fuß ragte aus den Nebelschleiern auf, die alles einhüllten, weiter oben spiegelte sich das Mondlicht in den Fenstern. Ich lief weiter, bis ich seine Mauern erreicht hatte.
Plötzlich wusste ich, dass der Mann, dem dieses Schloss gehörte, sterben würde. Ich kannte weder seinen Namen, noch wusste ich, wie er aussah, aber ich war mir sicher, dass der Tod in sein Schlafzimmer Einzug halten würde, entweder schon in dieser oder der nächsten Nacht.
Die Erkenntnis erfüllte mich mit solch einer tiefen Traurigkeit, dass ich zu weinen begann. Ich spürte, wie Tränen über meine Wangen liefen, und aus dem Weinen, das tief aus meinem Herzen kam, wurde eine Melodie.
Ich sang sie ganz selbstverständlich, selbst dann noch, als ein Licht hinter einem der Fenster aufflammte und eine Gestalt auftauchte. Als ich das Knarren eines sich öffnenden Fensters hörte, blickte ich auf und sah in das Gesicht einer Frau. Ihr rotes Haar fiel ihr, zu einem Zopf geflochten, über die Schulter, und über dem Nachthemd trug sie einen samtenen Mantel. Ihr Blick wanderte suchend durch die Dunkelheit.
Dann entdeckte sie mich.
Sogleich verzerrte sich ihr Gesicht in namenlosem Schrecken, ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei, und sie wich vom Fenster zurück.
Das verwunderte, aber rührte mich nicht. Ohne weiter auf das offenstehende Fenster zu achten, blickte ich wieder auf jenes, hinter dem sich der Todgeweihte befand, und ich sang, bis sich das Traumbild auflöste und zu vollkommener Schwärze wurde.
Am nächsten Morgen erschien mir der Angriff der Männer wie ein Alptraum. Als ich aufwachte, glaubte ich im ersten Moment wirklich, alles nur geträumt zu haben, doch die Schmerzen beim Gähnen belehrten mich schnell eines Besseren. Vorsichtig tastete ich meine Wangen ab, und die Entdeckung von Schorf ließ mich zusammenzucken. Als ich dann vorsichtig das Shirt anhob, bekam ich erst recht einen Schrecken. Das Lila des Blutergusses an meinem Rippenbogen konnte vermutlich mit dem verschmierten Lidschatten auf meinen Lidern konkurrieren.
Alles in allem ging es mir aber erheblich besser als erwartet. Gestern Abend war ich völlig benommen vor Schmerzen gewesen und nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Jetzt tat zwar jede Bewegung weh, doch es ließ sich aushalten. Letztlich war es nicht schlimmer als ein übler Muskelkater. Hatte ich die Situation gestern in meiner Panik völlig überbewertet? Den Dolch konnte ich mir kaum eingebildet haben, aber vielleicht waren die vermeintlich endlosen Minuten des Prügelns in Wirklichkeit nur ein paar Hiebe gewesen. Es war ja nicht so, als ob ich Erfahrung darin hatte, verprügelt zu werden und die Schwere des Ganzen einschätzen konnte. Vielleicht kamen ein paar blaue Flecke ja noch nach.
Langsam erhob ich mich und spähte hinüber zu Bettina, die in ihrem Bett lag und leise schnarchte. Vermutlich
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