Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
schlich mich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer.
Auf zu meinem ersten Besuch bei der Polizei!
D ie wenigen Fackeln konnten die Dunkelheit der Grotte nicht durchdringen, doch der Wächter brauchte nicht viel Licht, um die bleiche Frauengestalt zu erkennen, die vor ihm in der Mitte des Gewölbes stand.
»Was hast du zu berichten?«
Ihre Haut leuchtete trotz der Finsternis wie Schnee im Mondschein. Ihre schwarzen Haare fielen ihr bis über die Hüften, ihr Gewand war grau wie Asche, ihre Lippen in dem bleichen Gesicht kaum auszumachen. Eine Gestalt aus Licht und Schatten, nur in ihren Augen glomm ein blutrotes Feuer.
»Sie ist erwacht«, wisperte sie. »Und entkommen. Deine Menschen haben versagt. Sie hat ihre Stimme gefunden.«
Der Wächter verzog keine Miene. »Du bist sicher, dass sie allein war?«
»Ganz sicher. Ich konnte keine andere Anwesenheit spüren.«
Als der Wächter nicht antwortete, sondern sie nur unverwandt aus seinem schwarzen Kristallauge ansah, redete die bleiche Gestalt weiter.
»Ich habe noch nie so viel Kraft bei einer Nichteingeweihten wahrgenommen. Sie hätte vielleicht sogar mir gefährlich werden können. Daher muss sie unbedingt vernichtet werden.«
»Natürlich. Mach dir keine Sorgen, Carmilla, beim nächsten Mal werde ich keine Menschen schicken. Glücklicherweise kann ich mich auf andere Hilfe verlassen.«
Damit deutete der Wächter auf eine Reihe von Käfigen, deren Gitterstäbe in der Finsternis nur zu erahnen waren.
Das grässliche Krächzen, das wie auf Kommando daraus ertönte, ließ einen furchtsamen Ausdruck in Carmillas Augen treten. Das, was sich in dem Käfig befand, könnte genauso gut ihr Tod sein. Oder Schlimmeres.
»Du hast es also gewagt, sie in deine Dienste zu stellen?« Carmilla sank ehrfurchtsvoll auf die Knie. Nur wahre Macht konnte diese Kreaturen befehligen.
Der Wächter nickte zufrieden. »Sie werden der Nichteingeweihten das Schicksal bringen.«
4. Kapitel
D ie Polizisten starrten mich genauso verwundert an wie Thomas vorhin, als ich ihm von meinem Zusammenstoß mit den Schlägern berichtet hatte. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie mich nicht in den Arm nehmen und trösten wollten. Sie schienen mich eher für eine Lügnerin zu halten.
»Wir haben keine Meldung über eine Sachbeschädigung erhalten«, sagte einer der Beamten, der mich mit seinem Bauch, der über seinen Hosenbund quoll, und der Halbglatze ein wenig an Homer Simpson erinnerte. Er lehnte sich auf seinem knarzenden Bürostuhl zurück und musterte mich skeptisch.
Sachbeschädigung? Und was war mit mir? Es war ja wohl wichtiger, dass ich beschädigt worden war.
»A … aber ich habe es genau gesehen! Kurz bevor mich die Kerle verprügelt haben.«
Das stimmte nur teilweise, aber ich konnte der Polizei unmöglich erzählen, dass die zersplitterten Scheiben aus heiterem Himmel auf uns herabgerieselt waren. Also hatte ich kurzerhand behauptet, dass ich den Schlägertypen in die Quere gekommen war, als sie die Scheiben einwarfen.
Klar, ich sah nicht aus wie jemand, der verprügelt worden war. Vielleicht hätte ich den lila Lidschatten drauflassen sollen? Was konnte ich dafür, dass ich kein blaues Auge hatte?
»Können Sie die Täter denn beschreiben?«, fragte der zweite Beamte, der aussah, als würde ihm der andere ständig das Frühstücksbrot wegessen.
Ich nickte und berichtete alles, woran ich mich erinnern konnte. Sicher gab es Hunderte Männer mit Springerstiefeln und schwarzen Jacken. Mehr als das und bleiche Allerweltsgesichter konnte ich leider nicht bieten. Wer merkte sich schon Details, wenn er Todesängste ausstand?
Als ich fertig war, blickten sich die beiden Polizisten ratlos an.
»Viel ist das nicht.«
»Es war dunkel, und so plötzlich, wie die auf mich eingeschlagen haben, hatte ich keine Gelegenheit, mir ihre Gesichter einzuprägen.«
»Waren Sie denn schon bei einem Arzt?«
Klar, dass das jetzt kam. Vielleicht hätte ich doch nicht unter die Dusche steigen sollen.
»Nein, warum sollte ich?«, fragte ich zurück.
Der dicke Polizist musterte mich. »Dafür, dass Sie von mehreren Männern zusammengeschlagen worden sind, sehen Sie aber noch recht gut aus.«
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich meine zerfetzten Klamotten anbehalten hätte, anstatt sie wegzuwerfen. Das hatte ich nun davon, dass ich sauber und ordentlich zur Polizei gehen wollte.
Es gab tausend andere Dinge, die ich an einem Samstagvormittag lieber machen würde, als in einem
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