Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
hast du nicht, keine Bange. Soll ich vielleicht noch mit nach oben kommen? Für den Fall der Fälle?«
»Nein!«, platzte es aus mir heraus, als hätte er mir gerade angeboten, mit mir ins Bett zu gehen. Sosehr ich im Moment das Bedürfnis hatte, getröstet zu werden, sosehr es mir auch egal gewesen wäre, mich vor anderen lächerlich zu machen, indem ich ihn küsste oder sonst was tat, er war immer noch mein Freund. Nur ein Freund, nichts weiter. Und dabei sollte es bleiben.
Meine heftige Reaktion tat mir plötzlich leid.
»Ich … ich werde mich ein wenig hinlegen, danach geht es mir bestimmt besser. Bettina ist ja auch noch da.«
Thomas sah mich an, als hielte er meine Zimmergenossin nicht für geeignet, auf mich achtzugeben. Aber ich brauchte niemanden. Ich würde schon irgendwie klarkommen.
Rasch verabschiedete ich mich von Thomas und verschwand dann hinter der Tür. Auf dem Weg die Treppe hinauf blickte ich mich noch einmal um und sah ihn durch das Glas unschlüssig vor dem Haus stehen.
Fast tat er mir ein wenig leid. Ich war eine schreckliche Freundin – und Kollegin.
Verdammt, wenn ich nur nicht so ein großes Verlangen danach gehabt hätte, mich von Thomas in den Arm nehmen zu lassen …
Nein, nein, nein!
Ich schob den Gedanken beiseite und stapfte nach oben, bevor ich noch in Versuchung kam, wieder nach draußen zu gehen.
Dass Bettina ausgeflogen war, merkte ich gleich, als ich in unser Zimmer kam. Auf dem Schreibtisch fand ich einen Zettel:
Bin zu einem Kurztrip nach Leipzig.
Komme Sonntagabend wieder.
Dann musst du mir alles über das Konzert erzählen.
B.
Alles über das Konzert? Gut, dass ich noch einen ganzen Tag Schonfrist hatte!
Ich fischte mein Handy aus der Tasche, um ihr zu antworten und viel Spaß zu wünschen. Keine Ahnung, wem sie die Idee zu dem Kurztrip verdankte, aber derart spontane Aktionen war ich von ihr schon gewöhnt.
Nachdem ich die Nachricht weggeschickt hatte, legte ich mich aufs Sofa.
Es war gut, dass Bettina jetzt nicht da war – und es war wiederum auch nicht gut.
Obwohl das seltsame Gefühl auf dem Rückweg nicht wieder zurückgekehrt war, fühlte ich mich elend. Schwer zu beschreiben, warum und wie es sich äußerte, aber in mir schien seit vorhin etwas zu sein, was da nicht hingehörte. Ein Krake eben. Ein schlummernder Krake.
Während ich noch zwischen dem Gedanken schwankte, mir was zu essen zu machen oder einfach nur Musik zu hören, wurden meine Lider immer schwerer, bis ich schließlich in die Finsternis hinüberglitt.
Wieder ein bizarrer Traum.
Alles um mich herum war rot. Am Himmel leuchteten rote Wolken, unter meinen Füßen raschelte rotes Herbstlaub.
Ich irrte durch ein zerstörtes Dorf, von dem nur schwelende Ruinen und Rauchwolken übrig geblieben waren. Ein Überfall hatte stattgefunden, und das vor nicht allzu langer Zeit.
Als ich nach unten schaute, erblickte ich einen Toten. Seine Augenhöhlen waren leer, gerade flatterte ein Rabe mit seiner Beute im Schnabel auf.
Der Anblick erfüllte mich mit Ekel und tiefer Traurigkeit, doch diesmal kam kein Klagen über meine Lippen. Ich wusste, dass ich meine Stimme aufsparen musste für jemand anderen.
Als ich weiterging, bemerkte ich noch mehr Trümmer. Und noch mehr Menschen mit grotesk verrenkten Gliedern, blutgetränkten Kleiderfetzen und Augen, in unbeschreiblichem Grauen geweitet.
Mir wurde klar, dass dies kein gewöhnlicher Überfall war. Hier hatte eine Schlacht stattgefunden. Eine Schlacht, der das Dorf zum Opfer gefallen war, sei es, weil es Widerstand geleistet oder weil der Kommandeur sich reiche Beute versprochen hatte. Die Soldaten waren einfach über die wehrlosen Bewohner hergefallen, hatten wie von Sinnen geplündert und gemordet. Diese Erkenntnis verursachte ein tiefes Gefühl der Trauer in meiner Brust.
Das Rot unter meinen Füßen war nun kein Laub mehr, sondern Blut, das in den Boden eingesickert war. Metallischer Blutgestank schwebte über diesem Ort.
In der Ferne jedoch spürte ich Leben.
Offenbar handelte es sich um die Söldner, die über diesen Ort, dieses Feld hergefallen und es mit Blut überzogen hatten.
Von ihren Rufen magnetisch angezogen, schritt ich voran. Der Boden unter meinen Füßen war getränkt vom Blut, doch ich sah nicht mehr hin.
Mein Ziel war das Feldlager am Rande des Schlachtfelds. Ein paar Leichenfledderer waren mit dem Ausrauben der Kadaver beschäftigt, aber sie bemerkten mich nicht. Ich ging an ihnen vorbei, passierte eine Wache, die
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