Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
wir erst einmal, wer du bist. Dann wirst du leichter verstehen, was es mit uns auf sich hat.«
Jetzt war ich aber mal gespannt. Ich weigerte mich einfach, das alles als real anzusehen. Eine Erklärung für die Riesenvögel hatte ich zwar nicht, doch vielleicht halluzinierte ich ja. Die Schläger könnten mir eine Gehirnerschütterung verpasst haben, und sobald die weg war, wäre alles wieder normal.
»Banshees sind die ältesten Töchter der Göttin Aither. Sie haben die Gabe, den Tod vorherzusehen. In diesen Todesvisionen fühlt eine Banshee den Schmerz der Zurückgelassenen, so dass sie zu klagen beginnt. Der Todgeweihte selbst hört diese Klage nicht, nur seine Angehörigen vernehmen einen Gesang.« Macius sah mich prüfend an. »Hast du in letzter Zeit davon geträumt, zu einem Haus zu laufen und vor den Fenstern zu singen?«
Ich schnappte erschrocken nach Luft. Woher wusste er davon? »Das ist unmöglich!«
»Vieles ist möglich.« Macius winkte ab. »Ich habe schon einige Banshees getroffen und kenne eure Art recht gut. Unter allen Götterkinder n seid ihr die seltensten – und stärksten. Wer den Tod als Verbündeten hat, verfügt über ganz besondere Kräfte. Leider habt ihr jedoch eine fatale Schwäche.«
»Und die wäre?«
Warum hörten sich seine Worte nur so unglaublich, aber auch gleichzeitig so logisch an?
»Das Erbe einer Banshee kann nur auf ein Mädchen übergehen. Gebiert eine Banshee einen Sohn, ist dieser wie sein Vater nur ein normaler Mensch. Gebiert sie dagegen eine Tochter, verwirkt sie damit ihr eigenes Leben. Sie stirbt, sobald das Kind geboren ist. Sobald eine neue Banshee geboren ist.«
Meine Kehle war auf einmal wie zugeschnürt, und meine Augen begannen zu brennen.
»Das heißt also …«
»Deine Mutter ist bei deiner Geburt gestorben, nicht wahr?«
Ich musste die Tränen zurückhalten, als ich nickte. Obwohl ich meine Mutter nur auf Bildern gesehen hatte, vermisste ich sie schrecklich. Ich weiß auch nicht, warum es mir in diesem Augenblick vorkam, als hätte ich sie gerade erst verloren.
»Bei der Geburt sind ihre Seele und ihre Fähigkeiten auf dich übergegangen. Die Seele deiner Mutter und die all ihrer weiblichen Vorfahren sind als Echo in deiner eigenen Seele eingeschlossen. Wenn eine Banshee ihre Fähigkeiten vollständig beherrscht, schafft sie es unter Umständen, auf die Erinnerungen und Erfahrungen ihrer Mutter und der anderen weiblichen Vorfahren zuzugreifen. Aber selbst das ist sehr gefährlich.«
Wenn das stimmte – wenn –, dann würde ich vielleicht eines Tages die Erinnerungen meiner Mutter sehen können?
Das konnte ich einfach nicht glauben. Sicher war das alles nur ein Hirngespinst. Ein Hirngespinst, das ich mir anhören musste, damit ich endlich hier rauskonnte. Mittlerweile bereute ich es zutiefst, dass ich hergekommen war. Vielleicht hätte ich mit Thomas wegfahren sollen, genau wie Bettina.
Macius beobachtete mich die ganze Zeit, und am liebsten hätte ich ihm entgegengeschrien, dass er damit aufhören sollte. Aber Verrückte sollte man besser nicht reizen.
»Warum sind diese Viecher bei mir aufgekreuzt?«, fragte ich, in der Hoffnung, die Sache abkürzen zu können.
»Die Harpyien sind ebenfalls Götterkinder. Vielleicht die hässlichsten überhaupt, aber immerhin Sprösslinge aus der Verbindung einer Göttin mit Menschen. Die Nachtgöttin Nyx ist ihre Mutter, dementsprechend verfügen sie über einige ihrer dunklen Fähigkeiten. Ihr einziger Lebenszweck ist das Töten. Das hätten sie mit dir getan, wenn ich nicht dazwischengegangen wäre.«
Ein Schauer lief mir über den Rücken, und auf einmal meinte ich wieder das Gewicht dieser Kreatur auf mir zu spüren. Die verschorfte Wunde an meiner Hüfte schmerzte, als sei sie frisch.
Dass die Harpyien real waren, konnte ich nicht leugnen. Hirngespinste hätten mich wohl kaum verletzen können.
»Wir wissen noch nicht genau, was dahintersteckt, aber es ist eine Tatsache, dass die Nyxianer in letzter Zeit verstärkt anderen Götterkindern nach dem Leben trachten. Ich vermute, dass es etwas mit dem Erwachen des neuen Wächters zu tun haben könnte, aber das führt jetzt zu weit und würde dich überfordern.«
Mich überfordern? Nicht doch!
»Die Harpyien könnten es also erneut versuchen?«
Macius nickte.
»Und es gibt nichts, was ich dagegen unternehmen könnte?«
»O doch, du kannst etwas tun. Lerne, deine Stimme zu gebrauchen. Als dich die Männer in dem Hinterhof überfallen haben,
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