Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
schreckte er mich aus meiner Schwärmerei. »Wolltest du die Scheibe?«
»Ähm, nein …«, stammelte ich und wandte mich schnell wieder meinem Toast zu. Rasch schob ich mir den letzten Happen in den Mund. Dass er viel zu groß war, fiel mir erst hinterher auf.
Sosehr ich seine Gegenwart normalerweise genoss, in diesem Augenblick wünschte ich, er möge endlich gehen. Sonst würde ich ihm womöglich doch noch erzählen, was gestern wirklich geschehen war – und riskieren, dass er mich für verrückt hielt. Ich wusste auch nicht, was in mich gefahren war, aber es war alles andere als gut, zu wissen, dass man seinen Freund belog.
Dass ich kauend sicher vollkommen lächerlich wirkte, machte alles nur noch schlimmer.
Als Thomas endlich gehen wollte, war ich echt erleichtert. Wahrscheinlich war ich undankbar, aber in seiner Nähe hätte ich die Wahrheit, diese verrückte blöde Wahrheit, nicht länger zurückhalten können.
»Also, wir sehen uns am Montag?«, fragte er und kratzte sich ein wenig verlegen am Kopf. Sein Haar saß immer noch nicht besser, doch meinetwegen könnte er es immer so tragen.
»Ganz bestimmt!«, entgegnete ich und reichte ihm die Hand. Eigentlich schrie alles in mir danach, ihm einen Kuss zu geben, wenigstens auf die Wange. Aber ich wollte nicht vergessen, dass wir Freunde waren – und Kollegen.
Obwohl Thomas meine Hand schwungvoll ergriff, blickte er ein wenig traurig drein. Hatte er mehr erwartet? Immerhin hatte ich ihn bis nach unten begleitet.
»Pass auf dich auf!«, sagte er, dann wandte er sich um und stapfte zu seinem Auto, einem roten Ford Fiesta.
Blödes Huhn, schlag ihn dir entweder endgültig aus dem Kopf oder unternimm endlich was, schimpfte ich mich selbst, als er davonfuhr.
Nachdem ich die Reste des Frühstücks abgeräumt hatte, zog ich die Visitenkarte des Fremden aus der Tasche. Die Adresse war in einer altertümlichen Handschrift niedergeschrieben, und wenn ich mich nicht täuschte, lag sie am Stadtrand – in einem Gewerbegebiet, wo seit einiger Zeit ein paar alte Werkshallen vor sich hin gammelten. Dort sollte ich allen Ernstes hingehen?
Ich überlegte hin und her, kam aber immer wieder zu demselben Schluss: Da mir der Mann das Leben gerettet hatte, war es nur vernünftig, ihn zu treffen und mir anzuhören, was er zu sagen hatte. Vielleicht würden solche Viecher wie gestern wieder bei mir auftauchen. Wenn dann Bettina dabei war, konnte es richtig schlimm werden.
Mulmig war mir trotzdem zumute. Wer sagte denn, dass dieser Macius wirklich ein Freund war. Er sah wie ein Zuhälter aus. Vielleicht war das alles nur ein Ablenkungsmanöver, um mich zu ihm zu locken und mich dann …
Halt! Ich machte mich noch selbst verrückt. Die Kerle, die mich verprügelt hatten, wollten mir ans Leben. Diese verdammten Riesenvögel auch. Macius dagegen hatte mir geholfen.
Rasch huschte ich ins Bad, wo ich meine Wunde begutachten wollte.
Ich hatte seit gestern nicht mehr viel davon gemerkt, trotzdem wollte ich das alte Pflaster nicht drauflassen. Als ich es abzog, schnappte ich nach Luft. Nicht weil es schmerzte, sondern weil ich feststellen musste, dass sich die Wunde inzwischen komplett geschlossen hatte.
Wirkten Heilzauber nach?
Ich befühlte die zartrosa Narbe. Kaum zu glauben, dass mich an der Stelle eine riesige Kralle durchbohrt hatte.
Fasziniert und gleichzeitig ein wenig beunruhigt warf ich das Pflaster mit dem angetrockneten Blutfleck in den Mülleimer. Auch meine Wunden nach der Schlägerei waren in Windeseile geheilt.
Als ich wenig später geduscht und gekämmt vor die Tür trat, begegnete ich Helge aus dem Zimmer nebenan. Ein dicker Verband verunzierte seinen Kopf.
»Was ist mit dir?«, erkundigte ich mich.
Hatte gestern Nacht nebenan nicht auch wer geschrien?
»Komme gerade vom Arzt. Mein Bücherregal ist mir auf den Kopf gefallen.«
»Bücherregal?«
»Ich hab eins über dem Bett hängen, weißt du, und da hatte sich wohl ’ne Schraube gelockert. Willst du die Wunde mal sehen, der Arzt musste sie nähen.«
So begeistert, wie er mir das mitteilte, schien es ihm nicht schlecht zu gehen. Oder war das Galgenhumor? War vielleicht doch eine Harpyie in sein Zimmer gelangt und hatte ihm den Verstand aus dem Schädel gepickt?
»Nein, lass mal«, winkte ich schnell ab, denn auf eine Begutachtung der Wunde hatte ich keine Lust. »Ich muss los. Gute Besserung!«
»Danke!« Helge winkte mir kurz, dann wandte er sich um.
Ich hastete die Treppenstufen nach
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