Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
seit ich zum letzten Mal in Ruhe in den Spiegel geschaut hatte.
Schließlich erreichte ich das Ende der Treppe. Hier ging es nicht weiter, die Stufen mündeten in einer halbrunden Gitterplattform. Darunter war nichts als schwarze Leere.
Ich blieb stocksteif stehen, als ich bemerkte, dass ich offensichtlich nicht die Einzige war, die keinen Schlaf fand.
Macius saß am Rand der Plattform und ließ die Beine in die Tiefe baumeln. Ich wollte leise kehrtmachen, doch dazu war es zu spät.
»Komm runter und setz dich zu mir«, sagte er, ohne sich umzudrehen, und rückte ein Stück zur Seite.
Während ich mich auf das Gitter niederließ, spürte ich den Luftzug noch stärker. In der Tiefe plätscherte etwas. Bis hinunter zum Wasser war es wohl noch ein gutes Stück, aber ich hatte ohnehin keine Lust auf ein Fußbad.
Obwohl ich einige Fragen auf dem Herzen hatte, wagte ich zunächst nicht, sie zu stellen.
Eine ganze Weile blickte ich ebenfalls hinunter in den Schacht, aber irgendwann wurde mir die Stille unangenehm. »Kannst du auch nicht schlafen?«
Macius sah mich an. In den Tiefen seiner Augen glomm eine grüne Flamme, als würde man tief unten im Wasser nach oben zum Licht schauen.
»Ich schlafe nur selten. Nach gut tausend Jahren auf dieser Welt braucht man nicht mehr viel Schlaf.«
Tausend Jahre? O Mann. Für sein Alter hatte er sich allerdings gut gehalten. Ich grinste. »Geht das nicht auf den Teint? Ich meine, auch wenn man unsterblich ist, braucht man doch sicher seinen Schönheitsschlaf.«
»Schlaf ist etwas für die Jungen, egal ob unsterblich oder nicht. Wenn man älter wird, erkennt man, dass er Zeitverschwendung ist.«
Wenn das jemand sagte, der bereits tausend Jahre auf der Welt war und sicher noch weitere tausend Jahre durchhalten würde, sofern ihn die Nyxianer nicht töteten, musste es wohl stimmen. Oder fürchtete er gerade den Tod und wollte seine Zeit deshalb nicht mit Schlafen verbringen?
»Dein junger Galan und du, ihr solltet den Schlaf nutzen.«
Galan? Ja, hatte er noch alle Tassen im Schrank? Das Wort war zwar uralt, aber ich wusste genau, was es bedeutete! Als ob Thomas … mir den Hof machen würde!
»Er ist nicht mein … Galan.« Ich versteckte meine Empörung nicht.
»Was dann?«
Wahrscheinlich hatte er mitbekommen, wie ich Thomas mit Kuhaugen angestarrt hatte.
»Wir sind Arbeitskollegen«, antwortete ich schnell.
»Arbeitskollegen?« Eine seiner Augenbrauen schoss skeptisch in die Höhe. Den Trick würde ich auch gerne beherrschen. Aber er hatte ja auch genug Zeit zum Üben gehabt.
»Ja … das heißt, wir sind auch Freunde. Irgendwie.«
»Irgendwie. Aha.« Macius beließ es dabei und blickte wieder auf seine Füße.
Sie sahen eigentlich ganz normal aus, aber ich fragte mich, ob sie wie bei der getöteten Nixe zu Flossen wurden, wenn er sich verwandelte.
»Wie ist das eigentlich mit diesen Göttern?«, fing ich an, denn ich hatte weder Lust, mich weiter in meinem Bett herumzuwälzen noch über Privates mit Macius zu reden. Stumm neben ihm sitzen wollte ich jedoch auch nicht. »Normalerweise wird in der Kirche erzählt, dass es nur einen Gott gibt.«
Der Wassermann blickte mich verwundert an. »Das behaupten alle monotheistischen Religionen, und jede hält ihren Gott für den wahren.«
»Dem ist nicht so, oder?«
»Nein, vielmehr ist in diesem einen Gott, den diese Religionen anbeten, alles vertreten, was für Menschen Göttlichkeit ausmacht. Die wirklichen Götter repräsentieren hingegen unterschiedliche Eigenschaften der Göttlichkeit.«
Macius setzte sich ein wenig zurecht, zupfte an seinem Hemd, als wollte er es ordnen, und begann mit der Stimme eines Lehrers zu erklären. »Unser Universum wurde von vier Ur-Göttern geschaffen: Aither, der Göttin der Luft, Gaia, der Göttin des Bodens, Pantos, dem Gott des Wassers, und Nyx, der Göttin der Nacht. Sie alle zeugten Kinder, mit Menschen und mit ihresgleichen. Während die sogenannten reinblütigen Kinder selbst zu Göttern oder Wächtern wurden, entstanden aus den Verbindungen mit Menschen Mischwesen wie wir. Jeder Gott gab seinen menschlichen Kindern Eigenschaften von sich mit – und Magie. Pontonier wie ich beherrschen das Wasser, Aitherische wie Pheme und du die Luft.«
»Was ist mit Aiko?«
»Sie ist halb Gaianische und halb Aitherische. Frag mich nicht, wie diese Mischung zustande gekommen ist. Bei der Fortpflanzung von Göttern gelten ohnehin andere Regeln, als sie die Menschen kennen.«
Ob bei
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