Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
in die Blüte sprach … ein Seerosenhandy!
»Da gibt es nichts zu lachen«, brummte er. »So funktioniert das nun mal. Zu der Zeit, als die Götter die Erde und das Leben schufen, gab es nun mal keine technischen Geräte.«
»Entschuldige«, sagte ich, während ich mir die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte. »Ist denn einer der Götter in der Nähe?«
Macius schüttelte den Kopf. »Nein, sie waren schon so lange nicht mehr hier. In all der Zeit, seit ich die Blüte besitze, habe ich nur ein einziges Mal mit einem von ihnen sprechen können.«
»Und mit wem?«
»Mit Gaia. Damals tobte ein verheerender Krieg über das Land.«
»Du meinst den Zweiten Weltkrieg?«
»Nein, den Dreißigjährigen. Gaia wollte wissen, warum die Menschen ihren Boden mit Blut tränken. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Wächter ein wenig nachlässig war, hat sie die Menschen wieder zur Vernunft gebracht.«
O Mann. Ich klappte schnell den Mund zu und stellte die nächste Frage. »Wo war Gaia bei all den anderen Kriegen?« Wie würde es sein, so lange zu leben? Bis eben waren die tausend Jahre nur eine Zahl gewesen, aber jetzt wurde mir langsam klar, was Macius alles miterlebt haben musste.
»Das Universum ist groß, und die Götter sind … nun ja, Götter eben. Für sie dauert ein Menschenleben nicht länger als ein Wimpernschlag und hat häufig auch keine größere Bedeutung. Für die Wächter sollte es eigentlich anders sein, aber der letzte hat seine Aufgabe offensichtlich nicht allzu ernst genommen. Mit dem Erwachen des neuen Wächters hatten wir Hoffnung auf friedlichere Zeiten …«
»Aber nun greifen die Nyxianer an …«
Macius presste die Lippen zusammen, dann beugte er sich wieder über die Blüte. Eine kleine Dampfwolke stieg auf, die der Wassermann in seinen Mund aufsaugte. Die Blüte welkte in seiner Hand, bis sie schließlich wieder wie eine Blüte aus einem Herbarium wirkte.
»Wir sollten morgen fortfahren«, sagte er, als er die trockene Seerose in seiner Hosentasche verstaut hatte. »Es war ein anstrengender Tag.«
Sah ich aus, als wäre ich müde?
Macius erhob sich, und damit war die Unterhaltung beendet.
»Eine Frage noch!« Rasch stand ich ebenfalls auf.
»Ja?«
»Was wäre, wenn dir irgendwas Wichtiges in den Brunnenschacht fallen würde?« Eine blöde Frage, ich weiß, aber auf die Schnelle fiel mir nichts Besseres ein. »Würdest du dann alles fluten, um es wieder nach oben zu bekommen?«
Ein belustigter Ausdruck huschte über Macius’ Gesicht. »Sicher. Wie sollte ich es sonst zurückbekommen? Gute Nacht, Aileen.«
Damit kletterte er die Stufen hinauf.
Ich blieb noch eine Weile am Rand des Brunnenschachtes stehen. Ein Luftzug wehte mir entgegen, und auf einmal hatte ich das blödsinnige Verlangen, die Arme auszubreiten und in den Schacht zu springen. Nicht weil ich lebensmüde war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich, statt in die Tiefe zu fallen, fliegen würde. Dass ich im Luftzug aufsteigen würde wie ein Blatt, das vom Herbstwind getrieben wurde. Nicht dass ich dumm genug wäre, das auszuprobieren, aber …
Ich schloss die Augen und stellte mir vor zu fliegen, als ich eine Stimme vernahm.
Es war eine Frauenstimme, die ich noch nie zuvor gehört hatte.
»Aileen«, wisperte sie. »Ihr Name soll Aileen sein.«
Plötzlich breitete sich in meiner Brust wieder die Krake aus. Ich bekam höllische Schmerzen, und mir wurde sofort schwindelig. Es war wie an dem Nachmittag, als ich mit Thomas unterwegs war. Der Boden schwankte unter mir, ich versuchte, dagegen anzukämpfen, und vergaß alles andere um mich herum.
»Macius.« Meine Stimme war so leise und brüchig, dass ich sie selbst kaum hörte. Mein panischer Herzschlag echote durch meine Ohren. Macius .
Mein Innerstes krampfte sich immer mehr zusammen, ich stand völlig zusammengekrümmt da und hatte das Gefühl, dass ich zerspringen würde, wenn ich mich nur einen einzigen Zentimeter bewegte.
Die Frauenstimme in meinem Kopf schwoll an zu einem markerschütternden, unartikulierten Kreischen. Es war, als wollte etwas aus mir hervorbrechen, das dort gefangen war. Nur kam es nicht hervor, sondern breitete sich immer mehr in mir aus. Ich konnte nichts anderes tun, als Luft in meine Lungen zu zwingen und gegen das Gefühl der sich ausbreitenden Tentakel anzuatmen.
O Gott, wann hörte das endlich auf?
Da berührte mich jemand an der Schulter. Ich zuckte erschrocken zurück, meine Hand rutschte über den Rand des Gitters,
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