Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
gefallen.
Ich drehte mich um und setzte meine Schminkarbeit fort. Zeit, auf Spannerjagd zu gehen, hatte ich ohnehin keine, denn ich musste spätestens in ein paar Minuten los. Bis zum Huxleys war es eine lange Bahnfahrt, außerdem musste ich danach noch ein Stück laufen. Mal abgesehen davon, würde sich das Problem ohnehin schnell erledigen. Wenn der Spanner nicht gerade ein entlaufener Orang-Utan war, würde er bald als Gipsmumie im Krankenhaus enden. Das war neulich einem Mitbewohner aus dem ersten Stock passiert, der es witziger fand, über den Baum in sein Zimmer zu klettern, anstatt die Treppe zu nehmen. Jetzt lachte er bestimmt nicht mehr. Davon abgesehen lag das Gemeinschaftsbad nicht im ersten, sondern im dritten Stock.
Nachdem ich die Kriegsbemalung halbwegs zufriedenstellend beendet hatte, kehrte ich in mein Zimmer zurück.
»Na, hab ich doch gesagt. Die Klamotten stehen dir richtig gut, und der Lidschatten passt perfekt!«
Bettina hatte sich inzwischen ebenfalls in Schale geworfen, und das rote Cocktailkleid schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihre Kurven.
»Du siehst toll aus.« Ich unterdrückte einen neidischen Seufzer und bemühte mich, mir nicht wie ihre hässliche Stiefschwester vorzukommen. Bettina sah atemberaubend aus. Käme ich in solch einem Aufzug ins Huxleys, würden Thomas sicher Stielaugen wachsen. Doch wenn ich mich schon in meinem aktuellen Fummel fremd fühlte, wie würde es mir dann erst in einem hautengen Kleid ergehen? Außerdem bezweifelte ich, dass es mir auch nur annähernd so gut stand wie Bettina mit ihrer perfekten Figur.
Bevor ich in Selbstmitleid badete oder endgültig die U-Bahn verpasste, schnappte ich mir Jacke und Tasche, wünschte ihr einen schönen Abend und war aus der Tür, ehe sie etwas erwidern konnte.
Freitagabend war die U-Bahn voller Leute, die in irgendeinen Club oder auf eine Party wollten.
Schrill geschminkte Mädchen, neben denen ich mit meinen lila Augen wie eine graue Maus wirkte, kicherten albern, als hätten sie gekifft, während Jungs mit gegelten Haaren ein wenig tapsig daneben standen. Einer von ihnen trug einen Anzug wie der Mann heute Morgen in der Bahn, doch bevor mein Unwohlsein zurückkehren konnte, drehte er sich um und lächelte mich breit an. Nein, das war nicht der bleiche Typ mit dem Gehstock. Der junge Kerl sah eher nach angehendem Banker aus, und es war schwer auszumachen, ob er von der Arbeit kam oder zu einer Party wollte.
Bei den Typen, die direkt hinter mir eingestiegen waren, würde ich allerdings jede Wette eingehen, dass sie nicht in einen Club wollten. Sie trugen schwarze Bomberjacken, waren bullig wie Schränke, und ihre Hosen steckten in Springerstiefeln.
Sie machten zwar keinen Krach oder fielen sonst wie unangenehm auf, aber ihre Präsenz reichte aus, dass ich mich unwohl fühlte. Außerdem starrten sie mich an.
Erst der Typ heute Morgen und jetzt das! Mein Tag war offenbar nicht komplett ohne ein oder zwei Abenteuer in der U-Bahn. Aber das waren sicher nur Türsteher auf dem Weg zur Arbeit oder so was. Vielleicht hielten sie mich ja für zu jung, um derart aufgetakelt unterwegs zu sein. Manche Leute schätzen mich um einiges jünger als siebzehn.
Ich versuchte, ihren Blicken auszuweichen, doch irgendwie nützte das gar nichts. Sie starrten mich weiterhin an, als wollten sie mir unter die Haut kriechen.
Langsam wurde mir wirklich unwohl. Es konnte doch kein Zufall sein, dass sie es vorzogen, stehen zu bleiben und mich anzuglotzen, obwohl noch genügend Plätze frei waren.
Gab es an mir irgendwas, das sie veranlassen könnte, mir eine Tracht Prügel zu verabreichen? Passte ihnen meine blasse Haut oder meine Schminke nicht? Mein Aufzug? Wer konnte schon sagen, woran sich Schlägertypen wie diese störten.
Ich schaute weiterhin demonstrativ in eine andere Richtung und registrierte, dass sich die Bahn Station für Station zusehends leerte. Ja, wollte denn keiner ins Huxleys? Ich dachte, da spielten heute die Überflieger aus England.
Doch das schien den anderen entgangen zu sein.
Grüppchen um Grüppchen stieg aus. Meine Beobachter blieben. Und starrten mich an.
Schließlich saßen nur noch zwei Jungen in Hip-Hop-Klamotten und ich mit den Kleiderschränken im Waggon. Ich bezweifelte, dass die beiden mir im Notfall zu Hilfe kommen würden, denn abgesehen davon, dass sie dünne Bohnenstangen waren, waren sie zu sehr mit ihren MP3-Playern beschäftigt, auf denen sie sich gegenseitig irgendwelche Lieder
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