Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
komisch. Pheme und Aiko waren ebenfalls beunruhigt.
»Irgendwas führen sie im Schilde«, bemerkte die Sirene, als der Mustang am Kreml vorbeisauste. Das Gold auf den Zwiebeltürmen der nahen Basilika wirkte stumpf. Ein paar Soldaten marschierten im Stechschritt über den Platz, doch die Zuschauer ringsherum kümmerten sich nicht um sie. »Sie wissen sicher längst, wo wir sind, aber sie greifen nicht an.«
»Seid doch froh darüber!«, entgegnete Thomas. »So könnt ihr eure Kräfte für wichtigere Dinge aufheben.«
»Als ob du davon Ahnung hättest!«, gab Pheme spöttisch zurück.
»Ach, hör schon auf!« So langsam gingen mir ihre Sticheleien gegen Thomas echt auf die Nerven.
»Sorry«, entgegnete die Sirene ebenfalls leicht genervt. »Ich hab nur ein furchtbar mieses Gefühl, was Moskau angeht. Irgendwas ist hier nicht in Ordnung. Wie geht es dir, Aiko?«
Die Oni nickte zustimmend. »Ja, ich spüre es auch. Irgendwas scheint hier aus dem Gleichgewicht geraten zu sein.«
»Du meinst, das Gleichgewicht zwischen den Nyxianern und den anderen?«, fragte ich.
»Nein, es ist … anders. Irgendwas …«
Pheme bog scharf rechts ab und fuhr auf eine breite Straße, die wir uns mit einer Straßenbahn und unzähligen Menschen, die nichts auf Verkehrsregeln gaben, teilen mussten. Eine leicht vergammelt wirkende Metro-Station spuckte einen Schwall U-Bahn-Fahrgäste aus.
Ich hätte zu gern gewusst, wo sich das Nymphennest befand, doch Pheme schwieg sich auch nach mehrmaligen Fragen über die Adresse aus. Offenbar war sie der Meinung, dass es reichte, wenn sie es wusste. Aber ich hatte auch noch einige andere Fragen auf Lager.
»Hat Macius hier in Moskau ein Adresse, wo er uns kontaktieren kann?« Wir hatten die sehr belebte Straße hinunter uns gebracht und kamen jetzt in eine etwas ruhigere Gegend mit verwittert wirkenden alten Häusern, so dass Pheme sich nicht mehr ganz so sehr aufs Fahren konzentrieren mussste.
»Wenn er Glück hat, ist er jetzt tot.«
Mir stockte der Atem. Wenn er … Wie konnte sie nur so etwas sagen? Ihrem Ton nach hätte sie auch gerade Brötchen beim Bäcker kaufen können. Verdammt, sie hielt Macius für tot? Ich dachte, er könnte diese Ghule besiegen, sonst hätten wir ihn doch nie verlassen. »Wenn er Glück hat?«, schrie ich sie an. »Was zum Teufel soll das heißen?«
Pheme seufzte schwer. »Dass es schlimmere Dinge als den Tod für ein Götterkind gibt.«
»Warum haben wir ihn dann zurückgelassen? Wir hätten ihm helfen können!«
Pheme steuerte den Wagen an den Straßenrand und stoppte. Hinter uns hupte es wütend, dann brauste ein Fahrer mit röhrendem Motor vorbei.
Die Sirene rief ihm einen fremdartigen Fluch hinterher, dann wandte sie sich um. Ein trauriger Zug lag um ihre Augen, und auf einmal klang ihre Stimme ungewohnt ruhig und sanft. »Macius hat mich gebeten, ihn im Fall eines Angriffs zurückzulassen. Er wusste, dass er gegen einen Großangriff allein keine Chance hatte, aber genauso gut wusste er, dass wir die Einzigen sind, die weitermachen können. Vor allem du. Er wollte, dass du überlebst und nicht in die Hände unserer Angreifer gelangst. Lieber hat er sich dorthin begeben. Ich kann ihm wirklich nur wünschen, dass er im Kampf gestorben ist. Du weißt nicht, was die Nyxianer alles mit einem Götterkind anstellen können, bevor sie es töten.«
O doch, das weiß ich, hätte ich am liebsten geschrien, denn ich hatte es ja bei Bettina gesehen. Aber mein Hals war wie zugeschnürt.
Macius hatte sich für mich geopfert. Für uns alle.
Pheme wandte sich wieder um, fädelte sich in den Verkehr ein und fuhr weiter. Niemand sagte mehr etwas. Häuser, Bäume und Menschen zogen vorbei, ohne dass ich sie beachtete. Ich versuchte, Zorn und Trauer und vor allem das Gefühl der Hilflosigkeit unter Kontrolle zu bekommen. Macius hatte sich geopfert, damit ich weiterkämpfen konnte, und das hieß, verdammt noch mal, dass ich mich zusammenreißen und weitermachen musste.
Die Gegend, in der wir schließlich haltmachten, wirkte trostlos. Schmutziggraue Wohnblöcke ragten in den dunkelgrauen Himmel, und über den Balkongittern einiger Wohnungen hingen Bettlaken oder Wäsche. Gießkannen rosteten auf einer verwilderten Grünanlage neben alten Rechen und Harken vor sich hin.
»Wo sollen wir jetzt suchen?«, fragte ich mit von unterdrückten Tränen rauher Stimme, während ich mich umblickte. Hier sah es nach allem aus, nur nicht nach einem Nymphennest.
»Irgendwo in einem
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