Das Lied der Banshee: Roman (PAN) (German Edition)
Boden lagen die Harpyien, mit einer dicken Eisschicht überzogen.
Die Nymphe betrachtete sie reglos, dann ließ sie etwas auf den Boden fallen, was wie eine gewöhnliche Glaskugel aussah. War der … Eisblitz daraus gekommen?
»Eine Eissphäre«, erklärte sie. »Eigentlich ist diese Art von Magie unter meiner Würde.« Sie schnaubte spöttisch und wandte sich um. »Jetzt musste ich eine meiner letzten Sphären wegen euch vergeuden! Warum habt ihr diese Viecher hergeführt?«
»Wir haben sie nicht …«, protestierte ich, doch sie riss in einer befehlenden Geste die Hand hoch, und ich verstummte. Ich sah, dass Eis von ihren Fingernägeln tropfte.
»Nicht wissentlich jedenfalls«, setzte Pheme hinzu. »Wir hatten wirklich nicht vor, dich in Gefahr zu bringen, und auch von den Harpyien wussten wir nichts, bis wir sie gesehen haben.«
Die Nymphe betrachtete mich eine ganze Weile, und mir ging auf, dass sie mich für den Grund des Harpyien-Angriffs hielt. Damit hatte sie vermutlich gar nicht mal so unrecht. Aber …
O Gott, ich blöde Kuh. Thomas! Ihn hatte sie vielleicht ebenfalls angegriffen, und ich verplemperte hier meine Zeit. Ich wirbelte herum, doch Aiko packte mich mit eiserner Hand.
»Bleib hier.«
»Aber Thomas …«
»Bleib hier!«
Aikos Augen leuchteten warnend auf. Ich sah sie flehentlich an, aber sie ließ sich nicht erweichen. Ich versuchte sie abzuschütteln, doch die kleine Japanerin war um einiges stärker, als sie aussah.
»Aiko, bitte …«
»Hab einfach Vertrauen und sei jetzt still«, flüsterte sie.
Pheme hatte sich unterdessen weiter mit der Nymphe unterhalten. »Wir sind in großer Gefahr«, erklärte die Sirene jetzt. »Nicht nur wir drei, wir alle. Macius’ Quartier wurde von Brunnenwürmern angegriffen, er konnte nur uns noch den Auftrag geben, dich aufzusuchen.«
Die Nymphe legte den Kopf schief und blickte dann zu uns. »Was ist mit den beiden hier?«
»Das sind Aiko und Aileen.«
Die Augen der Nymphe weiteten sich, als sie mir direkt ins Gesicht sah, und ihre Pupillen nahmen die Form eines Blattes an. Überrascht schnappte ich nach Luft.
»Eine Banshee! Ich hab geglaubt, die gibt es gar nicht mehr.« Die Nymphe streckte die Hand nach meinem Gesicht aus, traute sich aber nicht, mich zu berühren.
»Sie ist eine der Letzten. Oder wahrscheinlich die Letzte.«
Galatea betrachtete mich fasziniert, als wäre ich ein Zootier hinter Gittern. Ich funkelte sie an. Konnten wir die Freak-Show vielleicht später abhalten, wenn ich sicher war, dass es Thomas gutging?
»Es gibt Geschichten über euch. Viele Geschichten. In den fünfhundert Jahren, die ich schon auf der Welt bin, habe ich nur eine von euch gesehen. Ich fragte mich, ob ihr auch Götterkindern den Tod vorhersagen könnt.«
»Das kann ich Ihnen nicht beantworten.«
»Nein, das kannst du nicht. Wahrscheinlich weißt du gar nicht, ob du schon mal irgendwem den Tod vorhergesagt hast.«
Bei ihren Worten überlief es mich eiskalt. Ich dachte an Bettina, mein Summen und daran, dass auch Macius mich summen gehört und behauptet hatte, er sei deswegen sicher. Wie hatte er das noch mal erklärt? Mit jedem Tag wurde der Schicksalsfaden eines Menschen neu gesponnen? Ich wollte das jetzt nicht mit der Nymphe diskutieren.
Galatea betrachtete mich noch einen Moment lächelnd, dann wandte sie sich Aiko zu.
»Verzeih mir. Eine Oni habe ich noch nie zuvor gesehen, aber ich habe gehört, dass ihr auf Drachen reiten könnt.«
Drachen? Hieß das, die gab es auch? Warum hatte mir das niemand gesagt?
Aiko neigte bescheiden den Kopf. »Das können wir. Jeder Oni hat einen Schutzdrachen, der ihm zu Diensten steht, wenn er ihn braucht. Wir müssen sie nur rufen.«
Die Nymphe wirkte fasziniert, doch im nächsten Augenblick erschien Trauer auf ihrem Gesicht. »Wie ich sehe, ist es nun an anderen, die Macht auszuüben. Die Nymphen werden eines Tages vergessen sein.«
Was meinte Sie damit? Bevor ich sie selbst fragen konnte, hakte Pheme schon nach.
»Vergessen sein? Aber ihr seid genauso langlebig wie andere Götterkinder. Ja, man sagt euch sogar nach, dass ihr unsterblich seid.«
Galatea wirkte auf einmal furchtbar erschöpft. Die Trauer in ihren Augen ließ sie älter aussehen, als ich sie eben noch geschätzt hatte.
Plötzlich polterte etwas die Treppe hinauf. Noch mehr Harpyien? Nein, die würden sicher nicht die Treppe hinaufgelaufen kommen.
Ich steckte den Kopf aus der Wohnungstür, Aiko hatte mich inzwischen losgelassen,
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