Das Lied der Cheyenne
nach einem Ausweg. Er liebte die erwählte Frau. Er achtete die Gesetze der Götter, aber er konnte nicht zulassen, dass sie mit Morgenstern verheiratet wurde. Es musste andere Mittel geben, den strengen Gott zu erfreuen. Oder bestand der Priester nur darauf, weil er seine Macht gefährdet sah? Schon vor vielen Wintern, als sie ein Mädchen aus dem eigenen Volk mit Morgenstern verheiratet hatten, war es zu einem Tumult gekommen. Er war damals noch ein Kind gewesen. Ein Krieger hatte sich gegen die Zeremonie gewehrt und am großen Feuer behauptet, es sei der cha-hik-sicha-hiks nicht würdig, die alten Gesetze der Götter zu beachten. Der Priester hatte ihn getötet. Was geschah mit ihm, wenn er sich für die Frau einsetzte?
Büffelfrau störte ihn nicht in seinen Gedanken. Er war ihre letzte Hoffnung, sie durfte ihn nicht drängen. So wollten es die Geister, mit denen sie in ihren Träumen gesprochen hatte. Der Tag wird kommen, hatten sie gesagt, und du wirst gegen den mächtigen Priester der Shar-ha antreten. Vertraue deinen magischen Kräften! Vertraue dem Krieger, der sein Herz an dich verloren hat! Fliehe vor dem roten Stern, der dich mit seinem blutigen Schein verfolgt!
Am dritten Tag sprach Singende Krähe wieder mit ihr. Er erzählte von einem Holzgerüst, das außerhalb des Dorfes errichtet wurde. »Es ist mir verboten, darüber zu sprechen«, sagte er, »aber ich kann nicht länger schweigen. Es ist eine Treppe aus Holz.« Er beschrieb die beiden Holzpfähle, die tief in den Waldboden gerammt und mit Sprossen aus unterschiedlichen Holzarten verbunden waren. »Vier«, erklärte er, »die heilige Zahl. Du wirst die Stufen hinaufsteigen und an eine fünfte Sprosse gebunden werden. Wenn das große Feuer brennt und die Trommeln schlagen, findet die Vereinigung statt.«
»Wie?«, fragte sie verzweifelt.
»Du wirst es sehen.«
Der vierte Tag brach an, und sie erduldete die eintönige Zeremonie mit ihren endlos erscheinenden Reden, die sie nicht verstand, weil Singende Krähe längst aufgegeben hatte, für sie zu übersetzen und nur noch seinen Gedanken nachhing. Selbst der Priester war schon auf ihn aufmerksam geworden, nickte aber zufrieden, als der Häuptling ihm antwortete.
Büffelfrau sah die grimmige Entschlossenheit im Gesicht des Priesters und wusste auf einmal, was sie am nächsten Morgen erwartete. Vielleicht hatte sie es schon die ganze Zeit gewusst und nur nicht zugegeben. Sie würde sterben. Nur im Tod konnte sie sich mit dem Morgenstern vereinigen. Nur im Tod wurde sie zur Frau des mächtigen Gottes. Die Shar-ha wollten ihn mit einem Menschenopfer versöhnen, und sie war auserwählt, ihre Feinde vor dem Zorn des Morgensterns zu retten. Wenn sie starb, durften die Shar-ha auf eine glückliche Zukunft hoffen.
Sie wusste es, ließ sich aber nichts anmerken. Höre auf deine Träume, hatte ihr Schutzgeist gesagt, und die Träume verrieten ihr, dass sie noch nicht verloren war. Es gab eine Chance. Wenn Singende Krähe auf ihrer Seite war, konnte sie es schaffen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie den Shar-ha entkommen konnte, wenn sie auf Schritt und Tritt bewacht wurde, aber sie vertraute ihrem Schutzgeist und reckte in Gedanken eine Faust zum Himmel.
Ich werde es schaffen, schwor sie sich, ich werde die Shar-ha besiegen und die heiligen Pfeile zurückholen!
29
Feuer
Büffelfrau schlief kaum in dieser Nacht. Sie betete und sang die heiligen Lieder und starrte durch den Rauchabzug zum sternenbedeckten Himmel empor. Dort oben leuchtete der Morgenstern, ein eigensüchtiger Gott der Shar-ha, der sie als Opfer haben wollte. Wenn die Dämmerung kam, würde man sie auf das Holzgerüst treiben und auf grausame Weise töten. Das wusste sie. Nur Maheo konnte sie noch retten, wenn er den Morgenstern vom Himmel vertrieb. Und Singende Krähe, wenn seine Liebe stärker als die Treue zu seinem Volk und die Ehrfurcht vor den schwarzen Priestern war.
Ihr Schutzgeist ließ sie in dieser Nacht allein. Auch Maheo und die anderen Geister schwiegen, und der Adler kreiste weit entfernt über einem See. Es war windstill, das spürte Büffelfrau, obwohl der Rauchabzug sehr klein war und kaum frische Luft nach innen drang. Die Nacht hielt den Atem an.
Sie hörte dumpfe Trommelschläge und die Gesänge einiger Krieger, die zu Ehren des Morgensterns tanzten, und wenn sie in den tunnelartigen Ausgang kroch, sah sie die Umrisse des unruhig schlafenden Singende Krähe. Er lag vor der Hütte auf einem Büffelfell und hatte viel
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