Das Lied der Cheyenne
des Morgensterns. Seine Mokassins waren mit bunten Borsten bestickt. Sein Gesicht trug die weiße Farbe der heiligen Männer, und von seiner hornartigen Skalplocke hingen Federn und Amulette herab. Neben ihm stand ein junger Krieger und hielt ein Bündel in der Hand. Die vier Frauen, die sich während der Vorbereitungszeit um Büffelfrau gekümmert hatten, hatten ihre Gesichter mit roter Farbe bemalt und blickten den Priester ehrfürchtig an. Einige Krieger standen mit Handtrommeln bereit und warteten auf den Befehl des heiligen Mannes.
»Ich grüße dich, auserwählte Frau«, sagte der Priester. »Dies ist der Tag, an dem du dich mit Morgenstern vereinigen wirst. Dir wird eine große Ehre zuteil, meine Tochter.«
Sie spürte den stechenden Blick des Priesters und setzte ihre Kraft dagegen. Er versuchte, mit seinem Blick tief in ihre Seele zu dringen und ihr jeden Willen zu nehmen. Diese Fähigkeit, einem Menschen seine Gedanken aufzuzwingen, wurde von seinem eigenen Volk gefürchtet, und es gab keinen, der seinem Blick je widerstanden hatte. Büffelfrau war stark genug. In ihrem Körper war dieselbe Kraft, die sie vor vielen Wintern empfunden hatte, als sie den Büffelbullen mit ihren Gedanken aufgehalten hatte. Es war die magische Kraft, die von den Geistern kam und jetzt den Priester überwand.
Sie ließ sich ihren Sieg nicht anmerken. Scheinbar willig ging sie mit einigen Kriegern durch das leere Dorf. Singende Krähe war nicht zu sehen. Er wartete irgendwo in der Dunkelheit, um sie vor dem Opfertod zu retten. Dumpfe Trommelschläge und eintöniger Gesang begleiteten sie zu dem Holzgerüst, das außerhalb des Dorfes am Waldrand errichtet worden war. Alle Bewohner hatten sich in respektvoller Entfernung versammelt und sahen dem Priester und seiner Gefangenen erwartungsvoll entgegen. Es geschah nicht oft, dass Morgenstern nach einer jungen Frau verlangte, und keiner wollte das Schauspiel versäumen. Ein Feuer brannte neben dem Gerüst und warf unheilvolle Schatten in das vom Tau feuchte Gras.
Der Priester rief etwas, das Büffelfrau nicht verstand, und die Krieger brachten sie zu dem Holzgestell und befahlen ihr, die heilige Treppe zu erklimmen und ihre Hände um die oberste Sprosse zu legen. Sie gehorchte widerwillig. Die Krieger banden sie mit Rohhautschnüren fest und kehrten zum Priester zurück. Sie war dem grausamen Willen des xinesi ausgesetzt, und nur Singende Krähe konnte sie jetzt noch retten. Sie begann, leise ihr Todeslied zu singen. Es schien unmöglich, dass Singende Krähe seinen kühnen Plan in die Tat umsetzte und sie vor dem tödlichen Pfeil des Priesters rettete. Das ganze Dorf war zusammengekommen, und es musste sich der Boden vor ihnen auftun und die Shar-ha verschlucken, wenn sie sich aus dieser tödlichen Umklammerung noch befreien wollte.
Die Trommeln verstummten, und der Priester ließ sich das Bündel geben. Er wickelte den heiligen Bogen und den heiligen Pfeil aus, den er in der Medizinhütte mit einem neuen Schaft versehen und neuen Rohhautschnüren umwickelt hatte. Er sprach die Worte, die ihm die Zeremonie für diese heilige Handlung vorschrieb, und spannte den Pfeil auf die Sehne. Büffelfrau hielt den Atem an. Sie musste stark sein, wenn die Geister ihren Tod wollten, und durfte vor den Shar-ha keine Schwäche zeigen.
Im nahen Wald brach Feuer aus. Die Flammen kamen aus dem Nichts und fraßen sich in das trockene Laub. Ein Brandherd nach dem anderen entstand, und der Kriegsruf der tsis tsis tas schallte durch die Nacht. Die Shar-ha blieben wie versteinert stehen und starrten in die Dunkelheit. Eine Flinte krachte, und die Kugel zerriss die Brust des Priesters und trieb seinen sterbenden Körper in das Feuer. Seine Todesschreie gingen in der wilden Panik unter, die alle Shar-ha ergriffen hatte. Dies war die Rache der Götter! Sie hatten Unrecht getan, und Morgenstern lud seinen ganzen Zorn auf sie ab. Männer, Frauen und Kinder rannten nach allen Seiten davon, und Angstschreie hallten über die Wiese, die das Dorf vom Wald trennte.
Büffelfrau spürte, wie ihre Fesseln zerschnitten wurden. Sie stürzte ins Gras, kam wieder hoch und rannte zum Dorf. Die Shar-ha waren viel zu aufgeregt, um sich ihr in den Weg zu stellen. Sie flohen vor den wütenden Göttern und bemerkten sie nicht einmal.
Es gelang ihr, ungehindert in der Dunkelheit zu verschwinden und sich gegen die kalte Wand einer Erdhütte zu pressen. Ihre Chancen standen gut, das erkannte sie mit wenigen Blicken. Die
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