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Das Lied der Cheyenne

Das Lied der Cheyenne

Titel: Das Lied der Cheyenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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vor dir. Warum hast du mich in das Land der weißen Berge gerufen?«
    »Hier bin ich zu Hause«, antwortete der Büffel. Sein schwerer Kopf schwankte in dem heftigen Wind, und seine Hufe scharrten im Schnee. »Ich werde in deinen Träumen erscheinen, wenn du mich rufst, aber die Berge sind meine Heimat.« Er schnaubte und blickte sie lange an, bevor er weitersprach. »Du bist lange geritten, meine Tochter«, sagte er. »Du hast die Spuren der Ho-he gefunden, und du bist einem fremden Mann begegnet.«
    Sie nickte. »Das ist wahr. Ich habe die Stelle gefunden, an der die Ho-he eine Antilope getötet haben, und ich habe den weißen Mann mit den vielen Haaren im Gesicht gesehen.«
    »Ich wollte, dass du ihn siehst«, erwiderte der Schutzgeist. Das Schneetreiben war noch dichter geworden, und sein weißes Fell leuchtete jetzt so stark, dass sie geblendet wurde. »Er gehört zu einem Volk, das jenseits des Großen Flusses wohnt und in rollenden Tipis die weiten Ebenen überquert.«
    »Das habe ich gehört«, bestätigte sie. »Einige Krieger meines Volkes haben die weißen Männer gesehen. Die Häuptlinge sagen, dass die Ve-hos unsere Feinde sind. Wir sollen sie töten. Wir sollen ihnen die Ponys und die Feuerstöcke abnehmen.«
    »Es wird Krieg geben«, erwiderte der Büffel, »und die Krieger des Volkes werden gegen den weißen Mann reiten.« Er schnaufte angestrengt, als bereitete es ihm große Mühe, weiterzusprechen. »Der Kampf wird viele Menschenwesen das Leben kosten. Die Ve-hos sind ein großes Volk.«
    »Wie groß, mein Bruder«, fragte sie erstaunt.
    »Zähle die Schneeflocken, die aus den Wolken fallen. Zähle die Sterne, die in einer klaren Nacht am Himmel stehen. Zähle die Grashalme, die auf den weiten Ebenen wachsen.«
    »Aiee!«, erschrak sie. »Dann werden wir alle sterben!«
    »Nicht alle Ve-hos sind eure Feinde«, sagte der weiße Büffel. Seine roten Augen verbrannten den Schnee vor seinen Vorderhufen und befreiten einige Bergblumen von ihrer weißen Last. Er lächelte, als er die roten und gelben Blüten sah. »Es gibt gute Ve-hos, die eure Freunde sein wollen.« Er schnaubte wieder, und Büffelfrau wunderte sich, dass ein Wesen so wild und gleichzeitig so sanft wirken konnte. »Du hast einen dieser Ve-hos getroffen. Der Mann mit den zwei Pferden. Du wirst ihm noch viele Male begegnen. Du brauchst diesen Mann, meine Tochter, und er braucht dich. Ihr gehört zusammen.«
    »Wir sollen ein Tipi teilen?«
    »Das habe ich nicht gesagt«, widersprach der Büffel. »Ich sehe nur, dass ihr dieselbe Luft atmet. Du wirst ihm begegnen und ihm in die Augen sehen. Dann wirst du erkennen, welchen Weg ihr gehen werdet. Das ist alles, was ich darüber weiß.«
    »Und Weißer Biber?«
    »Der junge Krieger, der dir den Hof macht?«
    »Ja, mein Schutzgeist. Was ist mit ihm?«
    »Er trägt die heiligen Pfeile.«
    »Er zieht in den Krieg?« Büffelfrau spürte plötzlich, wie eisige Schneeflocken auf ihren Lippen zerschmolzen. Das Heulen des Windes klang laut in ihren Ohren. »Gegen die Shar-ha?«
    »Ich sehe eine große Schlacht.«
    »Wann? Gegen wen?«
    »Das weiß ich nicht, meine Tochter. Einiges ist vorbestimmt, und vieles bleibt den Launen der Geister überlassen. Bete und erfülle deine Aufgabe, dann wird dir nichts passieren.«
    »Und Weißer Biber?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Die Pfeile«, stieß sie hervor. Ihre Stimme klang nervös, und sie fürchtete sich auf einmal vor den Antworten des weißen Büffels. »Was ist mit den Pfeilen? In meinen Träumen habe ich gesehen, wie jemand das heilige Bündel stehlen wollte. An den Pfeilen klebte Blut. Was hat das zu bedeuten?«
    »Du stellst viele Fragen«, erwiderte der Schutzgeist. Er stand immer noch an derselben Stelle, und seine Stimme war unvermindert hell und sanft. Er hatte viel Geduld. »Aber auch ich weiß nicht alle Antworten. Es liegt an dir, die Antworten auf viele Träume zu finden. Denke nach, meine Tochter.«
    Büffelfrau stemmte sich gegen den heftiger werdenden Wind. »Das Blut«, sagte sie, »es war schrecklich anzusehen. Die Pfeile, die Hand, die das heilige Bündel nehmen wollte. Eine fremde Macht bedroht das Volk! Sie will die heiligen Pfeile stehlen!«
    »Es kommen schwere Zeiten«, bestätigte der Büffel, »und dein Volk wird von dem Feuer erfahren, das seine Träume zerstören soll. Meide das Feuer! Lauf vor den Flammen davon und suche deinen eigenen Stern. Denke an meine Worte!«
    »Welches Feuer, mein Schutzgeist?«
    »Du wirst es

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