Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Cheyenne

Das Lied der Cheyenne

Titel: Das Lied der Cheyenne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
Vom Netzwerk:
abzweigte und sich zwischen den Felsen verlor.
    Minutenlang verharrte sie stumm im Sattel. Sie beobachtete die Schlucht und das hügelige Land, das dahinterlag. Von ihrem Vater hatte sie gelernt, dass man einen Feind auch sehen konnte, wenn man ihn nicht sah. Wenn die Präriehunde vor Angst in ihren Höhlen verschwanden, und die Rehe im Wald untertauchten, waren Menschen in der Nähe. Wenn die Vögel schwiegen oder Vögel aus einem Weidendickicht stiegen, waren sie durch Menschen aufgeschreckt worden. Auch die Bäume und Büsche und die Steine konnten sprechen und verrieten ihr, wenn Gefahr drohte.
    Nach einer Weile ritt sie weiter. Sie lenkte ihr Pony in die Schlucht hinab und stieß auf die Spuren von drei Reitern. Sie stieg ab und untersuchte die Abdrücke in der vom Regen aufgeweichten Erde. »Ho-he«, sagte sie. Zwei erwachsene Krieger und ein Junge. Die Spuren des einen Ponys hatten sich nicht so tief wie die anderen in den Boden gegraben. Sie waren nebeneinander geritten. Das zeigte ihr, dass sie keine Feinde in der Gegend vermuteten und glaubten, sich sorglos bewegen zu können. Die Spuren waren keinen halben Tag alt. Die Erde an den Rändern der Abdrücke war noch nicht eingefallen. Büffelfrau führte ihr Pony an den Zügeln. Vor dem Seitencanyon hatten die Ho-he ihre Ponys heftig angetrieben, anscheinend hatten sie ein Wild aufgestöbert und verfolgt. Sie entdeckte die Spuren einer Antilope und die Abdrücke der Ponys, die in einem gemächlichen Trott zurückgekehrt waren.
    Büffelfrau schwang sich in den Sattel. Sie ritt in den schmalen Seitencanyon und fand die Überreste der Antilope. Einige Aasvögel flatterten erschrocken davon, als sie das lebendige Wesen sahen. Sie blickte sich um, nickte zufrieden und kehrte in die Schlucht zurück. Die Ho-he waren verschwunden. Es bestand keine Gefahr mehr, und sie brauchte keine Angst zu haben, von den Kriegern in einen Hinterhalt gelockt zu werden. Sie waren arglos. Die deutlichen Spuren erzählten Büffelfrau, dass die Ho-he hinter der Schlucht nach Westen abgebogen und zwischen einigen Hügeln verschwunden waren.
    Sie ritt weiter nach Norden. Das Land wurde zerklüfteter, und der Wind blies immer kühler von den Bergen herab. Manchmal, wenn die Wolken auflockerten, konnte sie die schneebedeckten Gipfel sehen. Sie schienen zum Greifen nahe, aber sie hatte gelernt, Entfernungen richtig einzuschätzen, und wusste, dass die Sonne noch vier- oder fünfmal aufgehen würde, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Obwohl sie keine Spuren mehr sah, bewegte sie sich mit äußerster Vorsicht durch das feindliche Land.
    Auf einem der zahlreichen Hügelkämme, die sie auf ihrem Weg nach Norden überquerte, zügelte sie erschrocken ihr Pony. Sie riss es hinter den Hügel zurück und sprang aus dem Sattel. Bäuchlings schob sie sich auf den Kamm zurück. Sie blickte zwischen einigen Sträuchern hindurch auf eine sattgrüne Wiese und hielt angestrengt den Atem an. Ihre Hände umklammerten den Bogen. Ein Mann ritt den Bergen entgegen. Er saß auf einem grauen Pferd, das wesentlich größer als ihr Pony war, und zog ein Packpferd hinter sich her. Es war mit Vorräten beladen.
    »Ve-ho!«, flüsterte sie. So nannte ihr Volk die weißen Männer mit den Haaren im Gesicht, die jetzt immer öfter in ihren Jagdgründen auftauchten. Ve-ho, die Spinne. Das Tier mit den langen Beinen, das ein Netz von Fäden spinnt und darauf wartet, dass sich die Feinde darin verfangen. So hinterhältig war der weiße Mann. Das erzählten Bärenmann und viele andere Krieger, die ihm schon einige Male begegnet waren.
    Büffelfrau zog einen Pfeil auf den Bogen. Vor einigen Monden, als die ersten weißen Männer im Land der tsis tsis tas aufgetaucht waren, hatte es eine große Ratsversammlung gegeben, und die Häuptlinge hatten entschieden, dass Ve-hos es nicht wert waren, am Leben zu bleiben. Sie besaßen Feuerstöcke und rollende Tipis, aber ihre Haut war blass, und sie taten seltsame Dinge, die kein Krieger des Volkes verstand. Von den Pflanzern im Osten ging das Gerücht aus, dass sie keine Ehrfurcht vor der Natur und den Geistern hatten und sich nicht bei den Tieren entschuldigten, die sie erlegten. Zum Glück waren sie nicht zahlreich. Es gab nur wenige weiße Männer, und es war leicht, sie zu töten.
    Das glaubte Büffelfrau. Sie hätte den einsamen Reiter mit einem Pfeil von seinem Pferd schießen können, aber irgendetwas hielt sie zurück. Es war kein Mitleid. Ein Krieger ihres Volkes kannte kein

Weitere Kostenlose Bücher