Das Lied der Dunkelheit
Kampfzeichen wiederentdeckt?«
Ragen schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht …«
»Hast du wenigstens genug Reis mitgebracht, damit ich dir von dem Verkaufserlös die Kosten für deinen Abstecher nach Tibbets Bach erstatten kann?«, erkundigte sich der Herzog.
»Nein«, erwiderte Ragen mit finsterer Miene.
»Schön«, meinte Euchor und rieb sich die Hände, als wolle er sie von Schmutz reinigen. »Dann brauchen wir uns für die nächsten anderthalb Jahre auch nicht mit diesem Nest zu beschäftigen.«
»Anderthalb Jahre sind viel zu lang«, wagte Ragen zu widersprechen. »Die Leute dort benötigen …«
»Dann mache diesen Umweg, ohne Bezahlung zu verlangen«, schnitt der Herzog ihm abermals das Wort ab. »Damit ich mir diesen Luxus leisten kann.«
Als Ragen nicht sofort antwortete, lächelte Euchor breit, weil er wusste, dass er die Auseinandersetzung gewonnen hatte. »Welche Nachrichten gibt es aus Angiers?«, erkundigte er sich.
»Ich bringe einen Brief von Herzog Rhinebeck«, seufzte Ragen und griff in seinen Rock. Er zog eine schmale, mit Wachs versiegelte Röhre heraus, doch Euchor wedelte ungeduldig mit der Hand.
»Erzähl es mir einfach, Ragen! Ja oder nein?«
Ragen kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Nein, Euer Gnaden«, erwiderte er. »Seine Antwort lautet Nein. Die beiden letzten Lieferungen gingen verloren, und nur eine Handvoll der Männer, die den Transport begleiteten, kam mit dem Leben davon. Herzog Rhinebeck kann es sich nicht leisten, noch eine Fuhre auf den Weg zu schicken. So schnell können seine Leute die Bäume gar nicht fällen, wie der Nachschub gebraucht wird, und das Bauholz benötigt er dringender als das Salz.«
Das Gesicht des Herzogs lief rot an, bis Arlen schon glaubte, es müsse platzen. »Verdammt noch mal, Ragen!«, brüllte er und ließ seine geballte Faust niedersausen. »Ich muss das Holz unbedingt haben!«
»Seine Gnaden hat entschieden, dass er es zum Wiederaufbau des zerstörten Dorfes Flussbrücke verwendet«, beschied ihm Ragen seelenruhig. »Es liegt am Südufer des Grenzflusses.«
Herzog Euchor stieß ein grimmiges Zischen aus, und in seine Augen trat ein mörderischer Glanz.
»Das ist das Werk von Rhinebecks Erstem Minister«, warf Jone ein. »Janson versucht seit Jahren, Rhinebeck einen Anteil an den Brückenzöllen zu verschaffen.«
»Und warum soll er sich lediglich mit einem Anteil begnügen, wenn er sich die volle Summe unter den Nagel reißen kann?«, pflichtete Euchor ihr bei. Dann wandte er sich wieder
an Ragen. »Hast du ihm unterbreitet, wie ich auf diese Nachricht reagieren würde?«
Ragen zuckte die Achseln. »Einem Kurier steht diese Art von Äußerungen nicht zu. Was hätte ich Eurer Ansicht nach denn antworten sollen?«
»Dass Leute, die in hölzernen Festungen wohnen, nicht die Höfe anderer Männer in Brand stecken sollten«, knurrte Euchor. »Ich muss dich wohl nicht daran erinnern, Ragen, wie wichtig diese Holzlieferungen für Miln sind. Unsere Kohlevorräte schwinden, und ohne Brennstoff nützt uns das ganze Erz in den Minen nichts. Obendrein wird die halbe Stadt erfrieren, wenn die Leute ihre Häuser nicht beheizen können. Eher brenne ich dieses neue Dorf Flussbrücke selbst nieder, bevor es dazu kommt!«
Ragen verneigte sich, um zu zeigen, dass er die Situation begriffen hatte. »Herzog Rhinebeck weiß das«, erwiderte er. »Und er hat mich ermächtigt, Euch ein Gegenangebot vorzuschlagen.«
»Und wie lautet sein Vorschlag?« Euchor lupfte die Augenbrauen.
»Er verlangt Material, um den Weiler Flussbrücke wieder aufzubauen, und die Hälfte der Zolleinnahmen«, riet Jone, ehe Ragen den Mund aufmachen konnte. Aus schmalen Augenschlitzen blinzelte sie den Kurier an. »Wenn Ihr dem zustimmt, dann bleibt Flussbrücke am Angieranischen Ufer des Grenzflusses.«
Ragen nickte.
»Bei der Nacht!«, fluchte Euchor. »Beim Schöpfer, Ragen, auf wessen Seite stehst du eigentlich?«
»Ich bin ein Kurier!«, versetzte Ragen stolz. »Ich ergreife für niemanden Partei. Ich berichte lediglich, was man mir aufgetragen hat.«
Herzog Euchor sprang auf die Füße. »Nacht und Finsternis!«, tobte er. »Dann verrate mir bitte, wozu ich dich überhaupt bezahle!«
Ragen legte den Kopf schräg. »Möchtet Ihr lieber persönlich die Reise antreten, um diese Unterredungen zu führen, Euer Gnaden?«, fragte er milde.
Der Herzog wurde blass und enthielt sich einer Entgegnung. Arlen spürte die Macht, die von diesem knappen Einwand
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