Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
Vom Netzwerk:
durch den Palast zu stromern. Sie tun das mit dem Ziel, Neuigkeiten zu erschnüffeln oder Adlige zu finden, mit denen sie ihre Töchter verkuppeln können.«
    Mit dem Kinn deutete er auf eine Schar alter Frauen, die vor den Händlern Position bezogen hatte. »Sieh sie dir gut an«, riet er Arlen. »Das ist der Rat der Mütter, der darauf wartet, Euchor den Tagesbericht zu unterbreiten.«
    Noch ein Stück näher am Thron entdecke Arlen eine Anzahl Männer in schlichten braunen Gewändern und Sandalen; ihre Haltung strahlte eine ruhige Würde aus. Einige von ihnen murmelten etwas vor sich hin, während andere jedes einzelne ihrer Worte akribisch notierten. »Jeder Hof braucht seine Heiligen Männer«, kommentierte Ragen den Vorgang.
    Zuletzt zeigte er auf einen Schwarm aufgeputzter Leute, die um den Herzog herumscharwenzelten und von einer Armee Bediensteter verwöhnt wurden, die mit Tabletts voller Speisen und Getränke hin und her schwirrten. »Die herzogliche Familie«, klärte Ragen den Jungen auf. »Neffen, Vettern und Vettern dritten Grades, alle möglichen noch so entfernten Verwandten des Herzogs, die um seine Aufmerksamkeit buhlen
und davon träumen, was passieren könnte, wenn Euchor den Thron ohne einen Erben zurücklässt. Der Herzog hasst sie.«
    »Warum schickt er sie nicht einfach weg?«, wunderte sich Arlen.
    »Weil sie der herzoglichen Familie angehören«, entgegnete Ragen, als ob dies alles erklärte.
    Sie hatten die halbe Strecke zum Thron zurückgelegt, als eine groß gewachsene Frau auf sie zusteuerte, um sie abzufangen. Ihr Haar steckte unter einer Art Turban, und ihr verhärmtes Gesicht war mit so tiefen Runzeln durchzogen, dass es aussah, als hätte man Schutzzeichen in ihre Wangen gekerbt. Jede ihrer Bewegungen wirkte hoheitsvoll und ernst, doch ein Hautlappen unter ihrem Kinn schwang hin und her, als besäße er ein Eigenleben. Ihr Gebaren erinnerte ihn an Selia; beide Frauen waren daran gewöhnt, Befehle zu erteilen, die prompt befolgt wurden. Von oben herab musterte sie Arlen und rümpfte die Nase, als hätte sie an einem Misthaufen geschnüffelt. Dann fixierte sie Ragen.
    »Das ist Jone, Euchors Kammerfrau«, wisperte Ragen dem Jungen aus dem Mundwinkel zu, als sie sich noch außer Hörweite befanden. »Mutter, Mitglied der herzoglichen Familie und ihrer Abstammung nach zu einem Achtel Horcling. Lauf so lange weiter, bis ich stehen bleibe, andernfalls verbannt sie dich in die Ställe, solange ich beim Herzog bin.«
    »Dein Page muss in der Vorhalle warten, Kurier«, bestimmte Jone und stellte sich ihnen in den Weg.
    »Dieser Junge ist nicht mein Page«, korrigierte Ragen, ohne sich aufhalten zu lassen. Arlen hielt mit ihm Schritt, und die Kammerfrau musste ihre Würde opfern und eilig ausweichen, um nicht mit dem stämmigen Ragen zusammenzuprallen.

    »Seine Gnaden ist viel zu beschäftigt, um sich mit jedem Strolch abzugeben, Ragen«, zischte sie, während sie Ragen hinterherwieselte. »Wer ist der Bengel?«
    Ragen blieb stehen, und Arlen folgte seinem Beispiel. Der Kurier drehte sich um, funkelte die Frau wütend an und beugte sich nach vorn. Mutter Jone mochte ja überdurchschnittlich groß sein, aber Ragen war ein Hüne und wog dreimal mehr als sie. Seine schiere körperliche Überlegenheit ließ sie unwillkürlich zurückweichen.
    »Er ist ein Gast, den ich mitzubringen beliebe«, knurrte er drohend durch die Zähne. Dann warf er ihr eine Tasche voller Briefe zu, die Jone reflexartig auffing. Sofort strömten die Händler und die Frauen des Mütterrates herbei, gefolgt von den Anhängern des Fürsorgers, und umringten sie.
    Die Mitglieder der herzoglichen Familie bemerkten den Tumult und fingen an, mit den Leuten, die direkt neben ihnen standen, zu tuscheln oder ihnen Zeichen zu geben. Plötzlich entfernte sich die Hälfte ihres Gefolges, und Arlen erkannte, dass es sich lediglich um gut gekleidete Dienstboten handelte. Die Verwandten des Herzogs benahmen sich weiter so, als sei nichts von Belang vorgefallen, ihre Diener hingegen balgten sich mit den anderen darum, wer zuerst in die Nähe der Tasche gelangte.
    Jone reichte die Briefe an ihre eigene Dienerin weiter, dann eilte sie auf den Thron zu, um Ragens Besuch anzukündigen, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Ragens Ankunft hatte so viel Wirbel verursacht, dass der Herzog unweigerlich auf ihn aufmerksam werden musste. Euchor blickte ihnen entgegen, als sie sich ihm näherten.
    Herzog Euchor war ein vierschrötiger Mann von

Weitere Kostenlose Bücher