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Das Lied der Dunkelheit

Das Lied der Dunkelheit

Titel: Das Lied der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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dann entlockte er ihnen ein leises Summen. Schweigen legte sich über die Zuschauer, während er ein paar Augenblicke lang eine leise Tonfolge spielte; sein Bogen streichelte die Saiten, als glitten sanfte Finger über den Rücken einer Katze, bis sie melodisch anfing zu schnurren.
    Dann jedoch schien die Fiedel in seinen Händen zum Leben zu erwachen, und es war, als führe er mit ihr einen hurtigen Tanz auf, wobei er einen Sturm aus Musik entfesselte. Er vergaß die Menge. Er vergaß Arrick. Allein mit seiner Musik, erforschte er neue Harmonien, selbst während er eine durchgehende Melodie beibehielt; er improvisierte Rhythmen im Takt zu dem Klatschen, das wie aus einer anderen, weit entfernten Welt zu ihm drang.
    Er wusste nicht, wie lange sein Spiel dauerte. Ohne jegliches Zeitgefühl hätte er ewig weiterfiedeln können. Doch plötzlich gab es einen lauten Knall, und etwas stach schmerzhaft in seine
Hand. Er schüttelte den Kopf, um in die Wirklichkeit zurückzufinden, und sein Blick fiel auf die andächtig schweigende, staunende Menge.
    »Eine Saite ist gerissen«, erklärte er verlegen. Er schielte zu seinem Meister hin, der genauso ergriffen dastand wie die übrigen Zuhörer. Langsam hob Arrick die Hände und fing an zu applaudieren.
    Bald fielen die Leute ein, und das Klatschen schwoll an zu einem tosenden Beifall.

    »Mit deiner Fiedelei wirst du uns reich machen, Junge«, prophezeite Arrick, während er ihre Einnahmen zählte. »Reich!«
    »Reich genug, um die Rückstände zu begleichen, die du bei der Gilde hast?«, fragte jemand.
    Sie drehten sich um und sahen Meister Jasin, der lässig an einer Wand lehnte. Seine beiden Lehrlinge, Sali und Abrum, lungerten in seiner Nähe herum. Sali sang einen glockenhellen, wunderschönen Sopran, der in krassem Gegensatz zu ihrer hässlichen Erscheinung stand. Manchmal ulkte Arrick, wenn sie einen Helm mit Hörnern trüge, würde das Publikum sie für einen Felsendämon halten. Abrum hingegen besaß eine so tiefe Bassstimme, dass deren Dröhnen die Planken auf den Straßen zum Vibrieren brachte. Er war von großer, hagerer Statur und hatte riesige Hände und Füße. Wenn man Sali schon mit einem Felsendämon verglich, dann konnte man ihn sicherlich für einen Baumdämon halten.
    Wie Arrick, so sang auch Meister Jasin mit einer klangvollen, klaren Tenorstimme. Er trug teure Kleidung aus feinster blauer Wolle, mit Goldfäden durchwirkt, und verschmähte die kunterbunten Gewänder, die die meisten Angehörigen seiner
Zunft bevorzugten. Sein langes schwarzes Haar und der Schnurrbart waren eingeölt und akribisch gepflegt.
    Jasin war ein durchschnittlich großer Mann, doch das machte ihn keineswegs ungefährlich. Einmal hatte er im Streit um eine bestimmte Straßenecke einem Jongleur ein Auge ausgestochen. Der Magistrat betrachtete dieses Vorgehen als Selbstverteidigung, doch im Lehrlingszimmer des Gildehauses kursierten andere Meinungen.
    »Die Tilgung meiner Schulden bei der Gilde geht dich nichts an, Jasin«, versetzte Arrick und verstaute hastig die Münzen in seiner Jongleurstasche.
    »Dein Lehrling mag ja gestern die Vorstellung, bei der du durch Abwesenheit geglänzt hast, noch einmal gerettet haben, Arrick Sauerstimme, aber seine Fiedel kann dich auf Dauer auch nicht retten.« Noch während Abrum sprach, riss er Rojer die Fiedel aus den Händen und brach sie über seinem Knie entzwei. »Früher oder später wird dir die Gilde deine Lizenz entziehen.«
    »Die Gilde würde niemals auf Arrick Honigstimme verzichten«, entgegnete Arrick, »und selbst wenn sie es täte, würde man Jasin immer noch ›die alte Rostkehle‹ nennen!«
    Jasin setzte eine finstere Miene auf, denn in der Gilde benutzten viele bereits diesen Namen, und wenn der Meister dies hörte, bekam er einen Tobsuchtsanfall. Er und Sali rückten bedrohlich auf Arrick zu, der seine Tasche schützend umklammerte. Abrum drängte Rojer gegen eine Mauer und hinderte ihn daran, seinem Meister zu Hilfe zu eilen.
    Aber dies war nicht das erste Mal, dass man versuchte, ihnen die Einnahmen wegzunehmen, und sie um ihr Geld kämpfen mussten. Ohne Vorwarnung ließ sich Rojer auf den Rücken fallen, krümmte sich wie eine Sprungfeder zusammen und trat mit beiden Beinen zu. Abrum kreischte vor Schmerzen,
und seine sonst so tiefe Stimme schraubte sich schrill in die Höhe.
    »Ich dachte, dein Lehrling sänge Bass und nicht Sopran«, spottete Arrick. Als Jasin und Sali einen flüchtigen Blick auf ihren Gefährten warfen,

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