Das Lied der Dunkelheit
sie zurecht.
»Ich verbiete es!«, schrie Elissa.
»Das kannst du nicht!«, brüllte Ragen zurück. Noch nie zuvor hatte Arlen erlebt, dass er in diesem barschen Ton mit seiner Frau sprach.
»Du wirst dich noch wundern, was ich alles kann!«, fauchte Elissa. »Ich werde deinen Pferden ein Schlafmittel geben! Ich zerbreche jeden einzelnen Speer! Und deine Rüstung werfe ich in den Brunnen, damit sie verrostet!«
»Mach was du willst«, knurrte Ragen durch zusammengebissene Zähne. »Trotzdem brechen Arlen und ich morgen nach Hardens Hain auf, notfalls zu Fuß!«
»Ich verlasse dich«, verkündete Elissa ruhig.
»Was?«
»Du hast richtig gehört«, betonte sie. »Nimm Arlen mit auf diese Tour, und wenn ihr zurückkommt, bin ich weg.«
»Das kann doch nicht dein Ernst sein«, entgegnete Ragen.
»In meinem ganzen Leben war mir nie ernster zumute«, bekräftigte Elissa. »Nimm ihn mit, und ich trenne mich von dir.«
Ragen schwieg eine lange Zeit. »Hör mal, Elissa«, hob er schließlich an, »ich weiß ja, wie sehr es dich belastet, dass du nicht schwanger geworden bist …«
»Komm mir jetzt nicht damit!«, zischte sie.
»Arlen ist nicht dein Sohn!«, donnerte Ragen. »Und wenn du ihn noch so sehr mit deiner Liebe überschüttest! Er ist unser Gast und nicht unser Kind!«
»Natürlich ist er nicht unser Kind!«, kreischte Elissa. »Wie könnte er unser eigen Fleisch und Blut sein, wenn du jedes Mal, wenn ich empfangen könnte, unterwegs bist und irgendwelche verdammten Briefe ablieferst?«
»Du wusstest, dass ich ein Kurier bin, als du mich geheiratet hast«, erinnerte Ragen sie.
»Jawohl, ich wusste Bescheid«, gab Elissa zurück. »Und jetzt bereue ich, dass ich damals nicht auf meine Mutter gehört habe.«
»Was soll das heißen?«, hakte Ragen nach.
»Das heißt, dass ich es nicht länger aushalte.« Elissa fing an zu weinen. »Dieses dauernde Warten und die Angst, ob du überhaupt wieder heimkommst … die fürchterlichen Narben, von denen du behauptest, sie seien halb so schlimm. Die Gebete, dass ich bei den seltenen Gelegenheiten, wenn wir uns lieben, ein Kind empfange, ehe ich zu alt dafür bin. Und jetzt noch das!
Ich kannte deinen Beruf, als wir geheiratet haben«, schluchzte sie, »und ich glaubte, ich hätte gelernt, damit umzugehen. Aber was jetzt auf mich zukommt … Ragen, ich kann den Gedanken nicht ertragen, euch beide zu verlieren. Ich kann es einfach nicht!«
Eine Hand legte sich auf Arlens Schulter, und er erschrak. Margrit stand mit ernster Miene hinter ihm. »Du solltest dieses Gespräch nicht belauschen«, tadelte sie ihn, und Arlen schämte sich, weil er Ragen und Elissa bespitzelte. Er war schon dabei, sich zurückzuziehen, als er Ragens Worte aufschnappte.
»Na schön«, gab der Kurier nach. »Ich sage Arlen, dass er nicht mitkommen kann und höre auf, ihn zu ermutigen.«
»Wirklich?«, schniefte Elissa.
»Ich verspreche es dir«, erwiderte Ragen mit Nachdruck. »Und wenn ich aus Hardens Hain zurück bin«, fügte er hinzu, »nehme ich ein paar Monate Urlaub und liebe dich so oft, dass du einfach schwanger werden musst.«
»Oh, Ragen!« Elissa lachte, und Arlen hörte, wie sie ihm in die Arme fiel.
»Du hast Recht«, wandte sich Arlen an Margrit. »Es gehört sich nicht, andere Menschen zu belauschen.« Er schluckte krampfhaft, weil ihm vor lauter Ärger ein Kloß in der Kehle saß. »Aber wie sie über mich bestimmt haben, war auch nicht richtig.«
Er ging nach oben in sein Zimmer und fing an, seine Sachen zu packen. Lieber schlief er auf einem harten Lager in Cobs Werkstatt als in einem weichen Bett, wenn der Preis für diese Behaglichkeit darin bestand, dass er auf das Recht verzichtete, seine eigenen Entscheidungen treffen zu dürfen.
Monatelang ging Arlen Ragen und Elissa aus dem Weg. Sie schauten oft in Cobs Laden vorbei, um ihn zu besuchen, aber sie trafen ihn niemals an. Die von ihnen geschickten Dienstboten gaben sich alle Mühe, ihn ausfindig zu machen, jedoch ohne Ergebnis.
Da ihm Ragens Pferde nun nicht mehr zur Verfügung standen, kaufte Arlen sich ein eigenes Tier und verbesserte auf den Feldern vor der Stadt seine Reitkünste. Mery und Jaik begleiteten ihn häufig, und die Freundschaft der drei wurde immer enger. Mery betrachtete sein Reittraining zwar mit einem gewissen Unmut, doch sie waren alle noch jung, und die Hochstimmung,
die ihn immer überkam, wenn er auf dem Pferd über die Felder galoppierte, verscheuchte alle anderen Gefühle.
Zunehmend
Weitere Kostenlose Bücher