Das Lied der Dunkelheit
fasste er flink in die Tasche mit den Zauberutensilien und schleuderte eine Handvoll wirbelnder Flügelsamen vor ihren Gesichtern in die Luft.
Jasin machte einen großen Satz durch die Wolke hindurch, doch Arrick trat behände zur Seite und stellte ihm ein Bein. Gleichzeitig holte er mit der Tasche aus und schlug damit nach Sali; der Beutel traf die korpulente Frau voll vor die Brust. Sie wäre vielleicht nicht gestürzt, wenn Rojer nicht bereits hinter ihr gekniet und sie zu Fall gebracht hätte. Doch so prallte sie schwer auf dem Boden auf, und ehe die drei sich aufrappeln konnten, suchten Arrick und Rojer das Weite.
16
Bindungen
323 - 325 NR
Für Arlen war das Dach der herzoglichen Bibliothek in Miln ein magischer Ort. An einem klaren Tag breitete sich die Welt unter ihm aus, eine Welt, die nicht von Mauern und Siegeln eingeengt wurde und sich bis in die Unendlichkeit hinein erstreckte. Hier geschah es auch, dass Arlen Mery ansah und sie zum ersten Mal richtig wahrnahm.
Seine Arbeit in der Bibliothek war beinahe beendet, und bald würde er in Cobs Werkstatt zurückkehren. Er beobachtete das Spiel des Sonnenlichts auf den schneebedeckten Berggipfeln und wie sich das Licht bis in das darunterliegende Tal ergoss. Er versuchte, sich diesen Anblick für immer einzuprägen, und als er sich dann Mery zuwandte, wollte er auch ihr Bild in Erinnerung behalten. Sie war fünfzehn Jahre alt und noch viel schöner als die Berge und der Schnee.
Über ein Jahr lang war Mery seine beste Freundin gewesen, doch als etwas anderes hatte Arlen sie nie betrachtet. Nun jedoch, als er sie im Glanz der Sonne sah, während der kalte Gebirgswind ihr das lange braune Haar aus dem Gesicht wehte und sie die Arme gegen die sanfte Wölbung ihres Busens presste, um sich vor dem frostigen Hauch zu schützen, bemerkte
er plötzlich, dass sie eine junge Frau war und er ein junger Mann. Sein Puls beschleunigte sich jedes Mal, wenn ihre Röcke in der Brise flatterten und die am Saum hervorlugende Spitze ihr Unterkleid erahnen ließ.
Er sagte nichts, als er sich ihr näherte, doch sie bemerkte den Ausdruck in seinen Augen und lächelte. »Das wurde aber auch höchste Zeit«, meinte sie.
Zaghaft streckte er einen Arm aus und streichelte mit dem Handrücken über ihre Wange. Bei der Berührung beugte sie sich vor, und als er sie küsste, schmeckte er ihren süß duftenden Atem. Anfangs zögerte er noch, als sie seinen Kuss erwiderte, fasste er Mut, und wie von selbst wuchs der Kuss zu einer Liebkosung voll leidenschaftlichem Hunger, einem Gefühl, das sich seit über einem Jahr in ihm angestaut hatte, ohne dass er sich dessen bewusst gewesen war.
Ein wenig später trennten sich ihre Lippen mit einem leisen Schmatzen, und sie lächelte ihn nervös an. In inniger Umarmung saßen sie da, genossen den Ausblick über Miln und wärmten sich an ihrer jungen Liebe.
»Du starrst ständig in das Tal hinüber«, meinte Mery. Mit ihren Fingern fuhr sie durch sein Haar und drückte einen Kuss auf seine Schläfe. »In deinen Augen liegt dann immer ein Ausdruck, als wärest du ganz weit weg. Verrate mir, wovon du in diesen Momenten träumst.«
Arlen schwieg eine Weile. »Ich träume davon, wie ich die Welt von den Horclingen befreie«, antwortete er schließlich.
Mery, deren Gedanken in eine ganz andere Richtung gingen, lachte über dieses unverhoffte Geständnis. Sie wollte nicht grausam sein, aber ihr Lachen traf ihn wie ein Peitschenhieb. »Hältst du dich denn für den Erlöser?«, wollte sie wissen. »Wie willst du das anstellen?«
Arlen rückte ein kleines Stück von ihr ab; auf einmal kam er sich sehr verletzlich vor. »Das weiß ich noch nicht«, räumte er ein. »Ich fange damit an, dass ich als Kurier arbeite. Für eine Rüstung und ein Pferd habe ich schon genug Geld zusammengespart.«
Mery schüttelte den Kopf. »Wenn wir heiraten wollen, geht das aber nicht.«
»Wir sollen heiraten?«, platzte Arlen verdattert heraus und wunderte sich, wieso sich plötzlich seine Kehle zuschnürte.
»Was ist, bin ich dir etwa nicht gut genug?«, fragte sie, zog sich ein wenig zurück und machte ein beleidigtes Gesicht.
»Das habe ich nie behauptet …«, stotterte Arlen.
»Nun ja«, sinnierte sie. »Die Arbeit eines Kurier ist gut bezahlt und bringt Ehre und Ansehen. Aber sie ist viel zu gefährlich, und wenn wir erst Kinder haben, musst du Rücksicht auf deine Familie nehmen.«
»Wir bekommen Kinder?«, quiekte Arlen mit überschnappender
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